Tarifvertrag

Anspruch auf Tariflohn ohne zusätzliche Vereinbarung

25. Mai 2020
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Quelle: © Sandra van der Steen / Foto Dollar Club

Schließt der Arbeitgeber einen Entgelttarifvertrag, können sich Arbeitnehmer direkt darauf berufen, wenn sie Mitglied der zuständigen Gewerkschaft sind. Eine Klausel im Tarifvertrag, wonach die Anwendbarkeit erst noch individuell vereinbart werden muss, ist unwirksam - so das Bundesarbeitsgericht.

Darum geht es

Die Arbeitnehmerin ist Mitglied der IG Metall. Ihr Arbeitsvertrag enthält keine Bezugnahme auf Tarifverträge. Der Arbeitgeber war zunächst nicht tarifgebunden, schloss aber 2015 mit der IG Metall einen Mantel- und einen Entgeltrahmentarifvertrag. 

Der Tarifvertrag bestimmte, dass Ansprüche aus dem Tarifvertrag voraussetzen, dass für jedes Arbeitsverhältnis eine individuelle Bezugnahme vereinbart wird. Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag sollte bestimmen, dass sich das Arbeitsverhältnis »nach dem jeweils für den Betrieb aufgrund der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers … geltenden Tarifwerk« richtet. 

Die Arbeitnehmerin nahm jedoch das Angebot eines neuen Arbeitsvertrags mit einer solchen Bezugnahmeklausel nicht an. Sie verlangte, dass ihr die Differenz zwischen ihrem bisherigen Lohn und dem tariflich vereinbarten Entgelt gezahlt wird - auf der Grundlage des Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrags. 

Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, das Landesarbeitsgericht (LAG) hat sie auf die Berufung der Arbeitgeberin abgewiesen (Hessisches LAG 17.1.2019 - 5 Sa 404/18).

Das sagt das BAG

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte die Arbeitnehmerin mit ihrer Revison Erfolg. Ihr stehen die Ansprüche aus den Tarifverträgen schon aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit zu. 

Diese Ansprüche können nicht von weiteren individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden, weil die Regelungen des Tarifvertrags schon unmittelbar gelten (§ 4 Abs. 1 TVG). Auch das gesetzlich geschützte Günstigkeitsprinzip steht einer solchen Regelung entgegen (§ 4 Abs. 3 TVG). 

Eine davon abweichende Bestimmung im Tarifvertrag, die eine »arbeitsvertragliche Nachvollziehung« verlangt, liegt außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien und ist daher unwirksam, beton das BAG.

Hinweis für die Praxis

Ein Arbeitgeber ist tarifgebunden, wenn er selbst für sein Unternehmen einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft abschließt oder als Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbands daran gebunden ist. Arbeitnehmer sind tarifgebunden, wenn sie Mitglied in der Gewerkschaft sind, die den Tarifvertrag abschließt.

Wie das BAG hier klarstellt, dürfen in dem Fall, dass beide Seiten schon tarifgebunden sind, die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht noch von einer zusätzlichen Vereinbarung im Arbeitsvertrag abhängig sein.

Steht eine solche Klausel in einem für den Betrieb anwendbaren Tarifvertrag, sollten Sie als Betriebsrat den Arbeitgeber und ihre Kolleginnen und Kollegen auf die mögliche Unwirksamkeit hinweisen. 

Besonders Beschäftigte, die schon Gewerkschaftsmitglieder sind, sollten sich auf der Basis einer solchen Klausel nicht dazu drängen lassen, kurzfristig und ungeprüft einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen. Denn dieser kann ja auch anderweitig nachteilig sein. 

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

BAG (13.05.2020)
Aktenzeichen 4 AZR 489/19
BAG, Pressemitteilung Nr. 14/20 vom 13.5.2020
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