Mutterschutz

BAG: Wann das Kündigungsverbot bei Schwangeren beginnt

Dollarphotoclub_42019264
Quelle: contrastwerkstatt_Dollarphotoclub

Das Kündigungsverbot für schwangere Arbeitnehmerinnen beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin. So die Entscheidung des BAG. Der Senat geht damit vom frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft aus, um die Sicherheit und den Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen zu gewährleisten.

Das war der Fall

Die Arbeitgeberin kündigte das seit dem 15.10.2020 bestehende Arbeitsverhältnis mit einem der Beschäftigten am Folgetag zugegangenen Schreiben vom 6.11.2020 ordentlich. Mit einem am 12.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. 

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 2.12.2020, der am Folgetag beim Arbeitsgericht einging, teilte die Arbeitnehmerin mit, in der sechsten Woche schwanger zu sein. Der am 7.12.2020 der Arbeitgeberin zugegangenen Abschrift war eine Schwangerschaftsbestätigung ihrer Frauenärztin vom 26.11.2020 beigefügt. Die Arbeitnehmerin legte im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens eine weitere Schwangerschaftsbescheinigung vor, in welcher der voraussichtliche Geburtstermin mit 5.8.2021 angegeben wurde.

Die Beschäftigte hält die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) für unwirksam. Sie sei zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 7.11.2020 bereits schwanger gewesen. Von der Schwangerschaft habe sie erst am 26.11.2020 sichere Kenntnis erhalten. Die verspätete Mitteilung an die Arbeitgeberin sei unverschuldet und unverzüglich nach ihrer Kenntnis erfolgt. 

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Das sagt das Bundesarbeitsgericht

Die Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft ist unzulässig,

  • wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder
  • wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

So regelt es § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG). Das Überschreiten der Zweiwochen-Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.

Wann beginnt das Kündigungsverbot?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (1.12.2021 – 4 Sa 32/21) hat hier rechtsfehlerhaft angenommen, die Beschäftigte könne sich nicht auf das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen, da bei ihr zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 7.11.2020 keine Schwangerschaft vorgelegen habe. Die vom LAG vertretene Ansicht, es komme für das Bestehen einer Schwangerschaft und damit den Beginn des Kündigungsverbots nur auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) an, teilt das BAG nicht.

Rückrechnung von 280 Tagen

Nach der Rechtsprechung des BAG wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG bei natürlicher Empfängnis in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird. Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen – gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an – beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist.

Frühestmöglicher Zeitpunkt ist maßgeblich

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union soll das in Art. 10 Nr. 1 Mutterschutzrichtlinie vorgesehene Kündigungsverbot verhindern, dass sich die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit dem Zustand der schwangeren Arbeitnehmerin in Verbindung stehen, schädlich auf ihre physische und psychische Verfassung auswirken kann. Aus diesem Grund sei es offensichtlich, dass vom frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen ist, um die Sicherheit und den Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen zu gewährleisten (EuGH 26.2.2008 – C-506/06).

Diese Vorgaben berücksichtigt die vom BAG angewandte Berechnungsmethode von 280 Tagen vor dem mutmaßlichen Tag der Entbindung. Der Zeitraum stellt die äußerste zeitliche Grenze dar, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Der Senat verzichtet bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann. 

Lesetipps:

© bund-verlag.de (ls)

Quelle

BAG (24.11.2022)
Aktenzeichen 2 AZR 11/22
Newsletter 2024 viertel - Anzeige -
Bettina Graue
Basiskommentar zum MuSchG
34,90 €
Mehr Infos

Das könnte Sie auch interessieren

Lieferkette Produktion Transport Logistik supply chain
Lieferkettengesetz - Aktuelles

Europäisches Lieferkettengesetz kommt

Brille Tastatur Computer Bildschirmarbeit
Gesundheitsschutz - Aus den Fachzeitschriften

7 Fragen zur Bildschirmbrille