Kündigung

Therapie zählt bei Entlassung zugunsten des Beschäftigten

12. Mai 2021 Kündigung, Fehlverhalten, Sucht
Stempel_76049175
Quelle: © S. Engels / Foto Dollar Club

Bei einer Kündigung sind im Rahmen der Interessenabwägung die Gründe für das Fehlverhalten zu berücksichtigen. Liegen diese in der Alkoholsucht der Beschäftigten, ist der Wille, eine Therapie durchzuführen, zu deren Entlastung einzubeziehen, wie ein Urteil des LAG Thüringen zeigt.

Das war der Fall

Eine Sachbearbeiterin bei einem Landkreis hatte nach Anhörung des Personalrats die Kündigung erhalten. Der Arbeitgeber hatte sowohl ordentlich mit Abmahnungen als auch außerordentlich gekündigt, nachdem die Beschäftigte eine falsche Arbeitszeit ins Erfassungssystem eingetragen hatte. Sie trug zu ihrer Verteidigung vor, dass sie zu dem Zeitpunkt, als sie die Arbeitsstelle am 28.12.2017 frühzeitig verlassen hatte, absolut schuldunfähig gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sie eine Blutalkoholkonzentration von rund 3,4 Promille aufgewiesen, was sich aufgrund der Rückrechnung ihrer BAK ergebe, die auf dem Heimweg im Rahmen einer Polizeikontrolle und späteren Blutentnahme ermittelt wurde. Aufgrund der Trunkenheitsfahrt hat die Mitarbeiterin ihren Führerschein verloren und ist strafrechtlich belangt worden.

Das sagt das Gericht

Die Kündigung vom 20.07.2018 hat das Arbeitsverhältnis weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung beendet. Nach der Interessenabwägung sind beide Kündigungen als unverhältnismäßig anzusehen.

Bei der außerordentlichen Kündigung liegen die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Zwar hat die Klägerin wichtige Gründe im Sinne der Vorschrift geliefert, indem sie ein falsches Arbeitsende eingegeben und mit dem Arbeitszeitnachweis für den Dezember 2017 ihrem Arbeitgeber gegenüber eine wahrheitswidrige Erklärung abgegeben hat, den Beklagten damit getäuscht und mindestens eine Vermögensgefährdung verursacht hat.

Zu Gunsten der Klägerin stellt das LAG Thüringen klar, dass es dem Beklagten vor dem Hintergrund der mindestens 30-jährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin und eines bisher störungsfreien Arbeitsverhältnisses zumutbar war abzuwarten, ob die von der Klägerin im Zeitpunkt des Kündigungszugangs gestartete Therapie ihrer Alkoholerkrankung erfolgreich sein würde und zu einer Veränderung ihres Verhaltens und damit zur Beseitigung der Vertragsstörung geführt hätte. Es sei nicht mit Sicherheit ausgeschlossen, dass die Unzuverlässigkeit der Klägerin in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung auf ihre Alkoholkrankheit zurückzuführen ist. Auch der Versuch der Verschleierung eines alkoholbedingten Fehlverhaltens wäre nicht untypisch. Bei der therapiewilligen Klägerin sei es daher nicht auszuschließen, dass ein entsprechendes Fehlverhalten nach erfolgreicher Therapie nicht mehr vorkomme, so das LAG. Daher reicht es nicht aus, dass der Beklagte den Zusammenhang zwischen Alkoholerkrankung und dem Verhalten der Klägerin in Abrede stellt, ohne Tatsachen für diesen aus seiner Sicht fehlenden Zusammenhang vorzubringen. Abstrakte Aussagen genügen nicht. Die Aussage, nicht jedes Fehlverhalten könne mit der Sucht erklärt werden, trifft laut LAG abstrakt gesehen selbstverständlich zu. Sie ermögliche allerdings keine Feststellungen im konkreten Einzelfall.

Das LAG würdigt ausführlich die gesamten suchtspezifischen Umstände im Rahmen der Interessenabwägung. Es stellt unter anderem klar, dass aufgrund der Strukturen beim Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung alkoholkranker Beschäftigter nicht unzumutbar sei. Auch eine mögliche negative Außenwirkung aufgrund der im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis begangenen Straftat (Trunkenheitsfahrt nach Hause) lässt das LAG nicht zur Rechtfertigung der Kündigung gelten, sondern macht klar: Suchtkranke Mitarbeiter, die jahrzehntelang störungsfrei im Arbeitsverhältnis funktioniert haben, haben eine zweite Chance verdient. Auch die Missbilligung der Kündigungen seitens des Personalrats spreche dafür, dass der Belegschaft dieses Recht auf eine weitere Chance durchaus vermittelbar sei.

Für die ordentliche Kündigung, die nach entsprechenden Abmahnungen wegen des Fehlverhaltens erfolgt war, gelten im Rahmen der Interessenabwägung dieselben Überlegungen und Grundsätze.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hier die Bewertung der Besonderheiten des Einzelfalles entscheidungserheblich war.

Das muss der Personalrat wissen

Besonders zu beachten ist in diesem Fall, wie das LAG die Alkoholerkrankung und die damit in Zusammenhang stehenden Umstände in die Interessenabwägung einfließen lässt und letztlich klarstellt, dass arbeitgeberseitig unbedingt zu berücksichtigen ist, welches Verhalten Beschäftigte nach Ausspruch der Kündigung an den Tag legen: Sind sie bereit – wie hier – eine Therapie durchzuführen, ist davon auszugehen, dass ein alkoholbedingtes Fehlverhalten in Zukunft ausbleibt. Der Therapiewille zählt als Entlastungsgrund im Rahmen der Interessenabwägung. Es gilt also sozusagen der Grundsatz »in dubio pro reo«.

© bund-verlag.de (mst)

Quelle

LAG Thüringen (03.03.2021)
Aktenzeichen 4 Sa 154/19