Betriebliches Eingliederungsmanagement

BAG zur Verwertbarkeit eines BEM-Gesprächs für Kündigung

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Quelle: sakkmesterke_Dollarphotoclub

Der Arbeitgeber darf Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) für eine Kündigung verwerten. Etwa wenn der Arbeitnehmer mit Selbstmord oder Amoklauf droht. Die Teilnahme an einem BEM-Gespräch schützt nicht vor einer Kündigung – so das BAG.

Zwischen Arbeitgeber und – einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten – Arbeitnehmer zeichnete sich im Rahmen eines Gesprächs zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) ab, dass dem Arbeitnehmer Aufgaben aus dem Tätigkeitsspektrum eines Straßenwärters zugewiesen werden sollten. In diesem Zusammenhang tätigte der Arbeitnehmer Äußerungen, die von anderen Gesprächsteilnehmern als Drohung mit Selbstmord und »Amoklaufen« sowie Ankündigung einer Erkrankung verstanden wurden. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin mit Zustimmung des Integrationsamtes und nach vorheriger Beteiligung des Personalrats und Unterrichtung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung. Eine ordentliche Kündigung schied auf Grund des tariflichen Sonderkündigungsschutzes des Arbeitnehmers aus. Gegen die Kündigung ging der Arbeitnehmer gerichtlich vor. Während das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat, gab das Landesarbeitsgericht (LAG) ihr statt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) konnte die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen und hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Wichtiger Grund für eine Kündigung bei ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern

Das BAG weist in seiner Entscheidung zunächst darauf hin, dass der Begriff »wichtiger Grund« in der tarifvertraglichen Bestimmung des § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-Hessen an die Regelung des § 626 Abs. 1 BGB anknüpft und deren Verständnis daher auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist. Danach liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, auch dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach einem insoweit anzulegenden objektiven Maßstab nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

Rechtsfehlerhafte Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung des LAG

Die vom LAG vorgenommene Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ist nach Ansicht des BAG schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sich das Gericht ausschließlich mit der behaupteten Drohung mit »Amok« befasst hat, ohne jedoch auch die vermeintliche Drohung mit Suizid und die Ankündigung einer erneuten Erkrankung zu berücksichtigen. Dabei ist die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem Gespräch zum BEM kein Gesichtspunkt, der sein Bestandschutzinteresse generell steigert oder das Gewicht von Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art per se mindert. Für ein derartiges Verständnis gibt es im Gesetz keine Stütze – so das BAG.

LAG darf Verlauf und Inhalt des BEM-Gesprächs verwerten

Das Gericht weist ferner darauf hin, dass das LAG nicht gehindert ist, bei seiner neuen Entscheidung Feststellungen zum Inhalt der umstrittenen Äußerungen des Arbeitnehmers und des Verlaufs des Gesprächs zum BEM zugrunde zu legen und zu verwerten. Insbesondere verstößt die Erlangung von Informationen über das Verhalten des Arbeitnehmers im Prozess des BEM oder deren Heranziehung als Kündigungsgrund nicht gegen das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Kein Verstoß gegen Bundesdatenschutzgesetz und hessisches Datenschutzgesetz

In diesem Zusammenhang liegt auch kein Verstoß gegen die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und des hessischen Datenschutzgesetzes (HDSG) vor. Das BDSG ist im vorliegenden Fall auf Grund des HDSG nicht anwendbar (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG). Das HDSG regelt zwar mit § 34 HDSG bereichsspezifisch den Datenschutz bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen. Allerdings wird vorliegend nicht hiergegen verstoßen – so das BAG. Zum einen hat der Arbeitgeber die Inhalte des beM-Gesprächs und damit die personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers nicht „erhoben“ (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1). Der Arbeitnehmer hat die vermeintlichen Drohungen von sich aus erklärt. Ein als „Erheben“ bezeichnetes Beschaffen von Daten über den Arbeitnehmer setzt jedoch eine auf die Gewinnung von Daten über den Betroffenen abzielende Handlung voraus. Zum anderen ist, selbst wenn man in der weiteren Verwendung der Äußerung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber eine Datenverarbeitung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 HDSG) unterstellt, diese jedenfalls für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erforderlich im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG gewesen. Zudem genügt die unterstellte Datenverarbeitung auch den Anforderungen, die sich aus den in § 13 HDSG kodifizierten Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung ergeben.

Bloßer Ausdruck psychischer Verfassung rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung

Schließlich weist das BAG das LAG darauf hin, dass – sollte das Gericht davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer mit seinen Aussagen lediglich seiner psychischen Verfassung Ausdruck verleihen wollte – dies für sich genommen eine außerordentliche Kündigung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H nicht zu rechtfertigen vermag. Nach Ansicht des BAG fehlt es im Streitfall an hinreichenden Anhaltspunkten, die zu einer im Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose berechtigen, die Weiterbeschäftigung des Klägers berge objektiv ein entsprechendes Risikopotential.

Es bleibt abzuwarten, wie das LAG die Hinweise und sonstigen Vorgaben des BAG bei seiner neuen Entscheidung berücksichtigen wird.

Autor:

Stelios Tonikidis, Rechtsreferendar

Quelle

BAG (29.06.2017)
Aktenzeichen 2 AZR 47/16
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