Arbeitsschutz

Neue BAG-Linie zur Gefährdungsbeurteilung

11. Dezember 2019
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Quelle: © lpotthoff / Foto Dollar Club

Eine Gefährdungsbeurteilung umfasst das Verfahren zum Ermitteln der Gefahren im Betrieb, die Dokumentation und die Bewertung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind. Das Festlegen der konkreten Schutzmaßnahmen hingegen soll nicht mehr Gegenstand der mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung sein. Das BAG schränkt die Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG ein.

Was ist Gegenstand einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und was nicht und wo bestehen Spielräume für die Mitbestimmung? Das ist hier die Frage. Das BAG schlägt einen neuen Weg ein und gibt Rätsel auf.  

Das war der Fall

Da sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung einigen konnten, wurde eine Einigungsstelle eingeschaltet. Diese sollte die Details für den Ablauf einer Gefährdungsbeurteilung (und zwar nur im Rahmen von § 5 ArbSchG) im Betrieb regeln. Der Betriebsrat hält diesen Einigungsstellenspruch für unwirksam. Er sei rechtsfehlerhaft, da in vielen Punkten der Regelungsauftrag nicht erfüllt sei.

Das sagt das Gericht

Das BAG prüft die einzelnen Punkte des Einigungsstellenspruchs Schritt für Schritt und gibt dem Betriebsrat im Ergebnis Recht, schränkt allerdings insgesamt die Gefährdungsbeurteilung eher ein. Die Einigungsstelle sei über das Ziel hinaus geschossen und habe viele Punkte geregelt, die – weil sie nicht zur Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG gehören – außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegen. Hinweis: Die Einigungsstelle war nicht befugt zu prüfen, ob Maßnahmen nach § 3 ArbSchG betroffen sind.

Das gehört laut BAG in eine Gefährdungsbeurteilung:

  • Regelungen zum Verfahren der Gefährdungsbeurteilung, also Vorgaben, wie genau Gefährdungen zu ermitteln, wie sie zu bewerten und letztlich zu prüfen sind. Hier besteht unstreitig ein Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, § 6 ArbSchG).  
  • Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind und die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs.  Hier besteht ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, § 6 ArbSchG).
  • Dokumentation der Ergebnisse. Bei deren Ausgestaltung steht dem Betriebsrat ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 6 ArbSchG zu.
  • Festlegung, welche Arbeitsbedingungen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG „gleichartig“ für die Beurteilung eines Arbeitsplatzes bei der Gefährdungsbeurteilung sind.
  • Festlegen der Methoden zum Ermitteln der Gefährdungen nicht psychischer Art
  • Festlegen, in welchen Abständen eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist.

Das gehört laut BAG nicht in eine Gefährdungsbeurteilung:

  • Festlegen der zu untersuchenden Gefährdungen. Dies liefe dem Schutzzweck des § 5 ArbSchG zuwider. Vielmehr muss der Arbeitgeber allein die denkbaren Gefährdungen ermitteln, die am Arbeitsplatz auftreten können.
  • Klärung der Frage, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind: Seien Schutzmaßnahmen erforderlich, habe der Arbeitgeber diese nach § 3 ArbSchG zu treffen. Könne die festgestellte Gefährdung insoweit durch unterschiedliche Maßnahmen beseitigt oder reduziert werden, dürfe der Betriebsrat erst dann bei der Entscheidung mitbestimmen, welche Maßnahme umgesetzt werde. Daraus folgt: Nicht der Gefährdungsbeurteiler darf innerhalb der Gefährdungsbeurteilung – wie hier – beurteilen, welche Maßnahmen erforderlich sind und wann sie umzusetzen sind.
  • Auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Wirksamkeitskontrolle der verschiedenen Maßnahmen (ebenfalls § 3 ArbSchG statt § 5 ArbSchG).
  • Beschreibung von Arbeitsbedingungen. Denn im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG müssen nur Vorgaben zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen gemacht werden. Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen sollen daher nicht zu erfassen sein.

Hinweise für die Praxis:

Das BAG scheint neuerdings eine klare Trennung zwischen Inhalt und Folgen der Gefährdungsbeurteilung sowie zum Verhältnis zwischen § 5 Abs. 1 und § 3 ArbSchG zu machen. Es sieht die Festlegung der Arbeitsbedingungen, die zu untersuchenden Gefährdungen und die Arbeitsschutzmaßnahmen nicht mehr als Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Sind Schutzmaßnahmen – wie eigentlich immer – erforderlich, muss der Arbeitgeber diese nach § 3 ArbSchG treffen. Gibt es mehrere Möglichkeiten oder Optionen für diese Schutzmaßnahmen, dann kann und muss der Betriebsrat selbstverständlich bei der Wahl der Schutzmaßnahmen nach § 3 ArbSchG mitbestimmen. Aber eben nicht im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung – so jedenfalls das BAG. Das ist eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechungslinie.

© bund-verlag.de (fro)

Quelle

BAG (13.08.2019)
Aktenzeichen 1 ABR 6/18
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