Schwerbehinderung

Kein Anspruch auf leidensgerechten Arbeitsplatz im Homeoffice

20. Mai 2022
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Quelle: © Peter Atkins / Foto Dollar Club

Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin (medizinische Fachangestellte) kann nicht durchsetzen, dass ihr Arbeitgeber für sie einen bisher nicht vorgesehenen Homeoffice-Arbeitsplatz einrichtet. Die Ansprüche auf Rücksichtnahme und auf leidensgerechte Arbeitsgestaltung erzwingen nicht das Einrichten neuer Arbeitsplätze - so das LAG Köln.

Darum geht es

Die Arbeitnehmerin ist 35 Jahre alt. Sie ist als medizinische Fachangestellte bei ihrer Arbeitgeberin angestellt, die eine Augenklinik in B sowie zwölf weitere medizinische Versorgungszentren betreibt. Die Arbeitnehmerin leidet an Multipler Sklerose. Als Folge dieser Erkrankung hat sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 50. Vom 15.01.2020 bis 09.02.2021 war sie arbeitsunfähig erkrankt.

Aufgrund der Langzeiterkrankung wurde ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt. Am 04.11.2020 fand ein BEM-Gespräch (per Zoom-Meeting) statt. Dabei waren die Betriebsärztin, sowie je eine Vertreterin des Integrationsfachdienstes und der Landkreis-Fachstelle für behinderte Menschen im Arbeitsleben. Für die Arbeitgeberin nahm daran die Praxismanagerin der Praxis teil, in der die Arbeitnehmerin hauptsächlich eingesetzt war.

Im Nachgang zu dem BEM-Gespräch beantragte die Arbeitgeberin einen Zuschuss für die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes der Klägerin. Mit Bescheid vom 25.11.2020 sagte ihr das Sozialamt des Landkreises dafür einen Zuschuss in Höhe von 2.488,91 EUR zu. Im weiteren Verlauf lehnte die Arbeitgeberin es ab, der Angestellten eine Beschäftigung im Homeoffice zu ermöglichen.

Die Arbeitnehmerin verlangte von der Arbeitgeberin einen leidensgerechten Arbeitsplatz im Homeoffice, um von dort aus wie gewohnt für die Arbeitgeberin ihre Aufgaben erledigen zu können (Telefonzentrale, Terminvereinbarungen, Praxiskorrespondenz und Abrechnungen). Sie macht geltend, dies sei im BEM-Gespräch vereinbart worden. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage allerdings ab.

Das sagt das Gericht

Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, dass die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf die Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes hat. Die Arbeitgeberin sei nicht verpflichtet, einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen. 

Kein Anspruch auf Zuweisung von Homeoffice

Ein Anspruch auf die beantragte Beschäftigung folgt nicht aus einer geschlossenen Vereinbarung. Im BEM-Gespräch hätten die Parteien keinen rechtswirksamen Änderungsvertrag geschlossen, sondern lediglich über Möglichkeiten gesprochen.

Ein Anspruch auf die begehrte Beschäftigung folgt auch nicht aus der Pflicht der Arbeitgeberin, Ihre Direktionsrecht (§ 106 S. 1 GewO) mit Rücksicht auf die Interessen ihrer Angestellten auszuüben (§ 241 Abs. 2 BGB).

Zwar kann die Rücksichtnahmepflicht gebieten, dass der Arbeitgeber erneut von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und dem Beschäftigten eine Tätigkeit überträgt, die dieser noch erbringen kann. Die Aufgabenzuweisung müsse aber innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens liegen. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, eine vertragsfremde Beschäftigung zu ermöglichen (BAG v. 3.12.2019 - 9 AZR 78/19). Eine Tätigkeit im Homeoffice, bei der die Klägerin die Telefonzentrale betreut, Termine koordiniert und Praxiskorrespondenz erledigt, erfülle nicht das Berufsbild als medizinische Fachangestellte. Denn die Assistenzarbeit für Ärzte, der Empfang der Patienten in der Praxis und das Durchführen von Untersuchungen, etwa Sehtests, seien nur vor Ort möglich.

Zudem zeige auch die anzuwendende Entgelttabelle, dass mit der begehrten Tätigkeit unstreitig eine tarifliche Herabstufung verbunden sei. Es handele sich nicht um eine gleichwertige Tätigkeit als medizinische Fachangestellte, sondern um eine vertragsfremde Beschäftigung. Eine solche Aufgabe könne die Arbeitgeberin nicht einseitig zuweisen, dies gehe nur mit einem entsprechenden Vertrag.

Kein Anspruch aus Schwerbehindertenrecht

Ein Anspruch auf die begehrte Tätigkeit folgt auch nicht aus dem Recht schwerbehinderter Menschen auf Beschäftigung (§ 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Zwar könne sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige, sogar auf vertragsfremde Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertragliche Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann (vgl. BAG v. 15.10.2013 - 1 ABR 25/12).

Ein Anspruch bestehe aber nicht, soweit die Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre (§ 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX). Insbesondere müsse der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (ständige Rechtsprechung, vgl.  BAG v. 16.5.2019 - 6 AZR 329/18).

Gemessen daran habe die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Beschäftigung. Ein Anspruch auf die Zuweisung der beantragten vertragsfremden Beschäftigung scheitert aber daran, dass es bei der Beklagten einen solchen Arbeitsplatz bislang nicht gibt. Die Beklagte müsste einen solchen Arbeitsplatz unter Aufwendung finanzieller Mittel erst schaffen. Ein technisches System, das eine solche Tätigkeit im Homeoffice ermöglichen würde, besteht auch nicht.

Hinweis für die Praxis

Die Klägerin war in diesem Verfahren leider nicht erfolgreich. Das Urteil zeigt aber beispielhaft, welche Möglichkeiten Beschäftigte mit anerkannter Schwerbehinderung, Gleichstellung oder auch schon im Vorfeld im Rahmen eines BEM haben, für sich bessere oder geeignetere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Willigt der Arbeitgeber ein, ist natürlich nahezu jede Anpassung der Arbeitsbedingungen möglich. Kommt es aber darüber zu Konflikten, ist es bedeutend besser, wenn es im im Unternehmen einen Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung gibt. Diese sind kraft Gesetzes am BEM beteiligt und können viel für die Beschäftigten erreichen – auch weil sie aus erster Hand wissen, was im Rahmen der Arbeitsorganisation schon möglich ist oder möglich gemacht werden kann.

Mit der Anpassung von § 167 Abs. 2 Satz SGB IX können Beschäftigte sich im BEM jetzt auch von einer Vertrauensperson eigener Wahl unterstützen lassen – das können auch Ärzte, Rechtsanwälte oder Angehörige sein.

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

LAG Köln (12.01.2022)
Aktenzeichen 3 Sa 540/21
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