Arbeitsschutz

Auf Dienstreise

08. August 2022 Post-Covid, Corona
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Quelle: © The Photos / Foto Dollar Club

Dienstreisen gehören in der globalisierten Welt für viele Firmen und ihre Beschäftigten zum Alltag dazu. Obwohl das so ist, gibt es zu diesem Thema kaum Regelungen mit dem Betriebsrat. Warum der Betriebsrat hier mitbestimmen sollte und wie eine Betriebsvereinbarung aussehen kann, zeigt Fachanwalt für Arbeitsrecht Bernd Spengler in der AiB 7-8/2022.

Ähnlich wie bei den Umkleidezeiten tat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Vergangenheit mit der rechtlichen Einordnung von Dienstreisen schwer. „Selbst wenn diese Zeiten arbeitszeitschutzrechtlich Arbeitszeit darstellten, wäre nicht die zwangsläufige Folge, dass Reisezeiten auch zu vergüten seien“, so die Erfurter Richter. Durch das bloße Reisen erbringe der Arbeitnehmer nämlich erst einmal keine Arbeitsleistung. Das sei jedenfalls dann so, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine weiteren Aufgaben für die Reise übertrage, wie z. B. Powerpoint-Folien im ICE zu erstellen oder gar selbst ein Auto zu fahren. Reisetätigkeiten während der regulären Arbeitszeit wären danach zwar zu vergüten, weil die Reise – die an die Stelle der normalen Arbeit tritt - auf Anordnung des Arbeitgebers erfolgt, nicht jedoch die darüberhinausgehenden Stunden. Dennoch hat das BAG jüngst eine gewisse Bewegung erkennen lassen. Ein Mitarbeiter, dessen Dienstreise nach China ging, klagte, weil er für die Dauer des Fluges mit Zwischenlandung nur acht Stunden Zeitgutschrift erhalten hat. Die Erfurter Richter meinten, dass bei einer solchen Auslandsreise das Interesse des Arbeitgebers im Vordergrund stehe und daher auch die Reisezeiten insgesamt zu vergüten seien. Die Frage, die sich jetzt stellt: Ist das bei einer Dienstreise von Quickborn nach Garmisch nicht auch der Fall?

BAG zur Mitbestimmung bei Dienstreisen

Doch wie sieht es eigentlich mit der Mitbestimmung des Betriebsrats aus? Man denkt bei Reisezeit als Arbeitszeit natürlich sofort an § 87 Abs. 1 BetrVG, genauer an Nr. 2 (Beginn und Ende der Arbeitszeit) sowie bei Reisezeiten außerhalb der individuellen Arbeitszeit an Nr. 3 (vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit). Ein Blick auf die bisherige Rechtsprechung des BAG zu dieser Frage überrascht.  Die Erfurter Richter definieren Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG als Zeit, in der die Beschäftigten verpflichtet seien, ihre vertraglich geschuldete Arbeit zu leisten. Das bloße Reisen stelle aber keine Arbeitsleistung dar. Der erste Senat des BAG argumentierte, dass dann Arbeitszeit im mitbestimmungsrechtlichen Sinne die Zeit zwischen Reisebeginn und Reiseende wäre. Dann wäre die gesamte Zeit einer Dienstreise, also auch die Zeit, die außerhalb der regulären Arbeitszeit liegt, mitzubestimmen. Das hält das BAG für nicht gewollt. Es begründet dies damit, dass das Mitbestimmungsrecht sich auf die Verteilung der Arbeitszeit richte. Das sei bei Anordnung einer Dienstreise als Zuweisung einer Arbeitsaufgabe an einen einzelnen Mitarbeiter ausgeschlossen.

Kritische Würdigung

Das Verständnis des BAG, wonach die Zeit keine Arbeit darstelle, kann nicht überzeugen und entspricht nicht dem europäischen Arbeitszeitbegriff. Die EU-Arbeitszeitrichtline 2003/88/EG definiert, was Arbeitszeit bedeutet. Danach ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten

• arbeitet,

• dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.

Damit ist die gesamte Reisezeit arbeitszeitschutzrechtlich Arbeitszeit. Und genau deren Beginn und Ende ist der Gegenstand der Mitbestimmung. Der Sinn und Zweck der Mitbestimmung besteht nämlich gerade darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit zu schützen. Es geht um die Abgrenzung von freier - für das Privatleben nutzbarer - Zeit gegenüber fremdbestimmter Arbeitspflicht.

Mitbestimmungsrecht überdenken

Daher muss sich das BAG spätestens nach der Entscheidung zur Chinareise endgültig die Mitbestimmungsfrage neu stellen. Und dabei die betriebliche Praxis berücksichtigen: Entsendet ein Arbeitgeber bei einer bestehenden Betriebsvereinbarung – egal ob beispielsweise Dienstplan oder Kern-Gleitzeit - einen Mitarbeiter während seiner im Betrieb üblichen Arbeitszeit auf eine Dienstreise, liegt dies noch im Rahmen des Mitbestimmten. Muss der Beschäftigte aber die Reise früher antreten oder länger reisen, stellt dies eine Änderung der in der Betriebsvereinbarung mitbestimmten Lage der Arbeitszeit dar. Dies ist eben nicht nur individuelle Arbeitspflicht, sondern hat sehr wohl kollektive Folgen, denn wenn die Dienstreise bis spät in die Nacht geht, müssen am nächsten Tag andere Mitarbeiter die Arbeit miterledigen. In Teams kann dies auch Auswirkungen auf die Lage der Arbeitszeit der anderen Mitarbeiter zur Folge haben. Oftmals werden Dienstreisen auch von mehreren Arbeitnehmern in einem Fahrzeug angetreten. Ob diese nach einer zehn-stündigen Verhandlung nach Hause fahren wollen oder lieber nochmals übernachten, ist dann ebenfalls kollektivrechtlich relevant.

Wie die Stundenbewertung bei einer Dienstreise aussehen kann und welche Eckpunkte explizit in einer Betriebsvereinbarung Dienstreise zu regeln sind, erfahrt ihr im Beitrag von Bernd Spengler in der AiB 7-8/2022 ab Seite 37.

 

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