Gesundheit

7 Rechtstipps zur Eingliederung Erkrankter

25. Juli 2016
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Quelle: © RioPatuca Images / Foto Dollar Club

Ist ein Mitarbeiter länger als sechs Wochen am Stück oder wiederholt krank, muss der Arbeitgeber ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen. Ziel ist es, den Erkrankten Schritt für Schritt wieder ins Arbeitsleben einzubinden. Eigentlich eine gute Idee, doch es hakt an manchen Stellen: Die Betroffenen sehen das BEM bisweilen als Nachteil, und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hat Grenzen. Damit es dennoch funktioniert, haben wird für Sie sieben Wahrheiten zum BEM zusammengestellt.

1. Gilt das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nur für schwerbehinderte Menschen?

Nein. Zwar sind die Vorschriften für das BEM in Neunten Buch Sozialgestzbuch (SGB IX) enthalten, das eigentlich das Schwerbehindertenrecht regelt. Aber der einschlägige § 84 Abs. 2 SGB IX gilt für alle Beschäftigten. Für jeden Beschäftigten, der binnen eines Zeitraums von zwölf Monaten insgesamt sechs Wochen am Stück oder wiederholt erkrankt, muss der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen. Ziel ist es, dem Mitarbeiter in kleinen Schritten den Einstieg in das Arbeitsleben zu ermöglichen und eine erneute Erkrankung zu vermeiden. Der Mitarbeiter soll arbeitsfähig bleiben, einer Kündigung ist vorzubeugen.

2. Kann der betroffene Mitarbeiter das BEM ablehnen?

Ja – das kann er. Erkrankt ein Mitarbeiter binnen eines Zeitraums von zwölf Monaten mehr als sechs Wochen am Stück oder wiederholt, so muss der Arbeitgeber ihn zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsverfahrens (BEM) einladen. Allerdings muss der Betroffene dem Verfahren zustimmen. Die Motivation des Mitarbeiters zur aktiven Beteiligung am BEM ist entscheidend für den Erfolg des BEM.  Ein BEM ohne die Zustimmung oder gegen den Willen des Mitarbeiters ist zum Scheitern verurteilt.

3. Gibt es klare Regeln, wie ein BEM ablaufen sollte?

Ja und Nein. Einerseits nein, da das Gesetz (SGB IX) kein statisches Prüfungsschema vorgibt. Andererseits ja, da das Gesetz bestimmt, dass der Arbeitgeber und der zuständiger Interessenvertreter (Betriebsrat, Personalrat,  Schwerbehindertenvertretung) mit dem betroffenen Arbeitnehmer ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen haben.

Unter den Voraussetzungen:

  1. der sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit und
  2. der freiwilligen Mitwirkung des Betroffenen.

Das Gesetz gibt den Verfahrensbeteiligten bzw. den Betriebsparteien die Möglichkeit, das BEM zu gestalten. In der Vergangenheit hat vor allem die Rechtsprechung konkretisiert, was zu den Mindestanforderungen eines ordnungsgemäßen Eingliederungsmanagements gehört. Zum Beispiel: Die klare Zielsetzung, den bisherigen Arbeitsplatz anzupassen, und erst wenn dies nicht möglich oder erfolgreich scheint, die Beschäftigung auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz; auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, externe Stellen einzubeziehen und mit Ihnen zu klären, wie der Arbeitsplatz ausgestaltet werden kann, konkretisiert die gesetzliche Regelung. Außerdem gehört zu einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren, dass alle Vorschläge, die die Teilnehmer eingebracht haben, sachlich erörtert werden.

4. Darf der Arbeitgeber die Erkenntnisse aus dem BEM anderweitig verwerten?

Nein – darf er nicht. Soll ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werden, dürfen nur solche Daten erhoben werden, die den Zweck haben, Arbeitsplatzgefährdungen zu erkennen, abzustellen und Maßnahmen zum Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses zu ergreifen. Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Erheben, sondern auch für das Verwenden der Daten. Keinesfalls dürfen die Erkenntnisse für andere Zwecke verwendet werden, z.B. um krankheitsbedingte Kündigungen vorzubereiten. Der Arbeitgeber muss darauf achten, dass Kenntnisse über die Gesundheitssituation, die in BEM-Teambesprechungen gewonnen werden, nicht auf andere Personalentscheidungen einwirken. Grundsätzlich sollten alle Beteiligten des BEM-Teams, insbesondere die Vertreter der Arbeitgeberseite, in einer Datenschutzverpflichtung zu erklären, dass nicht unberechtigt auf personenbezogene BEM-Daten zugegriffen wird und die Datennutzung nur zu dem beabsichtigten Zweck erfolgt. Ganz wichtig: Die erhobenen Daten müssen in einer eigenen BEM-Akte aufbewahrt werden – räumlich getrennt von der Personalakte – und vor unbefugtem Zugriff geschützt werden. Im Übrigen sind Regelungen, die den Datenschutz im BEM betriebsspezifisch bzw. behördenspezifisch konkretisieren, mitbestimmungspflichtig.

5. Ist der Betriebsrat an jedem individuellen BEM zu beteiligen?

Ja – das ist er. Der Betriebsrat hat beim BEM sogar eine wichtige Funktion. Er muss darüber wachen, dass das BEM ordnungsgemäß abläuft und die Interessen der Arbeitnehmer gewahrt sind. Aber letztlich entscheidet der betroffene Arbeitnehmer, ob und in welchem Umfang ein Betriebsratsmitglied an seinem BEM-Verfahren beteiligt sein soll. Allerdings kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen, dass ihm dieser alle Beschäftigten namentlich benennt, die nach § 84 Abs. 2 SGB IX die Voraussetzungen für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllen. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat dabei diese Namen auch dann mitteilen, wenn die betroffenen Mitarbeiter der Beteiligung des Betriebsrats nicht zugestimmt haben (BAG 7. 2. 2012 - 1 ABR 46/10). Datenschutzrechtliche Erwägungen stehen dem Auskunftsanspruch des Betriebsrats nicht entgegen.

6. Hat der Betriebsrat ansonsten Mitbestimmungsrechte beim BEM?

Ja – die hat er. Zwar handelt es sich bei jedem einzelnen BEM um ein individuelles Eingliederungsverfahren für einen einzelnen Arbeitnehmer, um diesem den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu ermöglichen. Allerdings besteht laut Gesetz die Aufgabe für den Arbeitgeber darin, im Betrieb insgesamt ein System mit klar strukturierten Abläufen für ein BEM zu entwickeln, das sowohl ein Frühwarnsystem als auch ein Maßnahmepaket enthält, um die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten. Die Ausgestaltung dieser allgemeinen Verfahrensregeln berührt Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats – hier muss dieser umfassend eingebunden und beteiligt werden (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 BetrVG). In einem wichtigen Grundsatzurteil vom 22.03.2016 hat das BAG bestätigt, dass die Mitbestimmung des Betriebsrats sich keinesfalls auf Maßnahmen zur Durchführung des BEM beziehen darf, diese bleiben Arbeitgebersache, vielmehr beschränken sich die Rechte des Betriebsrats auf die Verfahrensregeln (BAG, 23.03.2016 - 1 ABR 14/14).

7. Ist eine Kündigung nur nach Durchführung eines BEM möglich?

Nein, die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM ist keine Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings hat das Fehlen eines BEM Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast. Denn: Normalerweise kann ein Arbeitgeber bei höheren Fehlzeiten im Kündigungsschutzprozess pauschal behaupten, dass in seinem Betrieb keine leidensgerechten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind. Dann muss der Arbeitnehmer dem Gericht vortragen und beweisen, dass diese doch bestehen. Anders bei einem fehlenden BEM: Nun ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig, dass keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen, zum Beispiel durch eine Umsetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz.

© bund-verlag.de (fro)

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