Preisträger im Interview

Erreichbar – aber nicht unbegrenzt

12. März 2024
Silber

Der Lehrerhauptpersonalrat Sachsen-Anhalt erzielt eine Dienstvereinbarung über Einsatz und Nutzung digitaler Dienste. Kerstin Hinz, Vorsitzende des Gremiums, über Knackpunkte und die besonderen Anforderungen an Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter.

In Ihrer Projektbeschreibung sprechen Sie von einer extremen Entgrenzung der Arbeitszeit für Lehrkräfte. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Seit dem Jahr 2018 erreichten uns im Lehrerhauptpersonalrat Sachsen-Anhalt (LHPR) vermehrt Anfragen von Kolleginnen und Kollegen zur Entgrenzung der Arbeitszeit durch den Einsatz und die Nutzung digitaler Dienste und die Pflicht zur digitalen Erreichbarkeit. Dazu zählen an erster Stelle digitale Stundenpläne und damit verbundene Vertretungs-Apps. So war es keine Seltenheit, dass Schulleitungen verpflichtende Regelungen zur Einsichtnahme des Vertretungsplans für den kommenden Schultag erließen. Hierbei sollten Lehrkräfte diesen Plan bis 18.00 Uhr einsehen, in einem Fall sogar bis 20.00 Uhr, und das auch an Sonntagen, um zu klären, ob sich ihr Unterricht für den Folgetag geändert hatte. Aus unserer Sicht verstießen diese Regelungen klar gegen geltendes Recht der Arbeitszeitverordnung von Lehrern in Sachsen-Anhalt. Der Knackpunkt war allerdings, dass darin keine Regelungen zum Umgang mit digitalen Diensten enthalten sind.

Wie sind Sie dann vorgegangen?

Der LHPR forderte den Arbeitgeber in Gesprächen regelmäßig auf, ergänzende Regelungen in Bezug auf die digitale Erreichbarkeit von Lehrkräften zu schaffen, um dieser massiven Entgrenzung der Arbeitszeit entgegenzuwirken. Wir hielten das für eine dringend notwendige Maßnahme, um dem Arbeits- und Gesundheitsschutz für die über 18.000 Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter Rechnung zu tragen. Und dann verschärfte sich die Situation durch Corona noch einmal.

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Tun sich Digitalisierung und Schule manchmal schwer miteinander?

Corona und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Einsatz von digitalen Tools hat die Schulen und damit die Lehrkräfte überrollt. Plötzlich mussten nicht nur Videokonferenzen organisiert und der Schulbetrieb irgendwie aufrechterhalten werden – und dies ergänzend zu den sowieso schon gestiegenen Anforderungen durch die Digitalisierung. Während in jedem anderen Unternehmen klar geregelt ist, dass die Arbeitsmittel vom Arbeitgeber gestellt, auf den Stand der Technik gebracht und entsprechende Schulungsmaßnahmen durchgeführt werden, stehen wir Lehrer in vielen Fällen allein da. Es herrscht vielerorts die Annahme, dass wir uns das mal eben schnell selbst aneignen, gesichert Daten administrieren und ständig Tools und Software auf den aktuellen Stand bringen. Hier sind viele Kolleginnen und Kollegen an ihre Grenzen gestoßen. Corona hat uns beim Thema Entgrenzung der Arbeitszeit aber insofern in die Karten gespielt, dass dadurch der Druck auf Schulleitungen und das Ministerium gewachsen ist.

Mit der Einführung eines landeseinheitlichen Bildungsmanagementsystems in Sachsen-Anhalt (BMS-LSA) haben Sie das Thema wieder auf die Agenda gesetzt. Wie war die Reaktion?

Erstmal wurde unser Vorschlag, einen Passus zur digitalen Unerreichbarkeit von Lehrern in eine Dienstvereinbarung zum neuen Bildungsmanagementsystem mit aufzunehmen, abgelehnt.  Doch nachdem die Pilotphase zum BMS-LSA erfolgreich abgeschlossen war, haben wir den Arbeitgeber nicht aus seiner Pflicht entlassen und den Vorschlag für eine Dienstvereinbarung zu digitalen Diensten vorgelegt. Nach vielen zum Teil langwierigen Gesprächen und mehrmaligen Änderungen konnten wir nach eineinhalb Jahren, im März 2023, endlich eine Einigung über den Einsatz und die Nutzung digitaler Dienste erzielen. Damit sind noch nicht alle offenen Punkte geregelt, z. B. zu dienstlichen E-Mails und zur notwendigen Fort- und Weiterbildung bei digitalen Medien. Aber unser wesentliches Anliegen, der Entgrenzung der Arbeitszeit einen Riegel vorzuschieben, konnte umgesetzt werden. Nun ist eine dienstliche Erreichbarkeit an Arbeitstagen zwischen 8.00 bis 16.00 Uhr geregelt. Später am Tag besteht für Lehrkräfte damit keine Verpflichtung mehr, sich über mögliche Änderungen für den folgenden Arbeitstag auf Stand zu bringen – auch wenn manche Schulleiter das immer noch als normal voraussetzen. Zudem wurde auch festgelegt, dass weitere digitale Dienste und deren Umgang im Schulbereich in dieser Dienstvereinbarung mit aufzunehmen sind.

Damit ist das Thema nun verbindlich geregelt – oder?

Nun, es gibt leider immer noch Schulleitungen, die sich darüber hinwegsetzen und die Begeisterung auf deren Seite hält sich in Grenzen. Nicht jede/r aus den Kollegien hat zudem die Bekanntmachung der Dienstvereinbarung über das Schulverwaltungsblatt zur Kenntnis genommen. Aber überall dort, wo Schulpersonalräte ihren Job machen, wirkt die Regelung. Mit dieser Dienstvereinbarung ist jetzt die Arbeitszeit für Lehrkräfte bei der Nutzung digitaler Dienste klar begrenzt. Aus unserer Sicht ein wichtiger Beitrag zum Arbeits- und Gesundheitsschutz aller Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter in Sachsen-Anhalt.

Das Interview führte Christof Herrmann, Pressesprecher des Bund-Verlags.

Aus: Der Personalrat 3/2024, S. 21f.

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