Meinungsfreiheit - Der DGB Rechtsschutz kommentiert

Weitergabe eines Flugblatts ist kein Kündigungsgrund

17. Dezember 2015

Rufschädigende Kritik am Arbeitgeber kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Wird ein entsprechendes Flugblatt jedoch nur an einen einzigen Betriebsangehörigen ausgehändigt, ist dies für eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht ausreichend. Die Interessenabwägung fällt dann zu Gunsten der Arbeitnehmer aus.

LAG Düsseldorf, 16.11.2015 - 9 Sa 832/15

Die prekären Arbeitsbedingungen bei Paketzustellungsunternehmen sind seit Jahren bekannt und regelmäßig Thema in den Medien. Die großen Paketdienstleister setzen häufig Subunternehmen ein, die sich um Arbeitsschutz, Arbeitszeiten, Mindestlohn oder die Vergütung von Überstunden wenig oder gar nicht scheren.

Im vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall hatte es Widerstand gegen die Geschäftspraktiken eines Paketzustellers gegeben. Vor dem Betriebstor wurden Flugblätter verteilt, auf denen der Arbeitgeber scharf angegriffen wurde. Die Flugblätter enthielten Behauptungen wie »die (der Arbeitgeber) behandelt uns wie Sklaven«, den »Aushilfen werden ihre elementaren Rechte genommen, wie ihr gesetzlicher Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall« und »(Arbeitgeber) kauft sich unternehmerfreundlichen Betriebsrat«.

Ein einziges Flugblatt reicht nicht für Kündigung

Der Arbeitgeber behauptete, auch der Teamleiter habe diese Flugblätter im Rahmen einer Mahnwache verteilt. Der Teamleiter bestritt dies. Der Arbeitgeber kündigte ihm dennoch.  Die Beweisaufnahme ergab allerdings, dass dem Teamleiter lediglich nachgewiesen werden konnte, dass er ein einziges Flugblatt aus der Tasche gezogen und einem Betriebsangehörigen gegeben hatte. Das reichte dem LAG angesichts eines neunjährigen Beschäftigungsverhältnisses ohne einschlägige Abmahnung nicht aus. Die Kündigung ist unwirksam.

Beleidigungen muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen

Sachliche Kritik am Arbeitgeber kann eine verhaltensbedingte Kündigung grundsätzlich nicht rechtfertigen. Sie ist durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt. Anders verhält es sich im hiesigen Fall. Die Behauptungen auf dem Flugblatt waren neben wahrscheinlich berechtigter Kritik auch beleidigend (Sklavenhalter) und enthielten den Vorwurf strafrechtlichen Verhaltens (Bestechung des Betriebsrates). Eine solche Äußerung mit beleidigendem und rufschädigendem Charakter muss kein Arbeitgeber dulden. Es ist ein grundsätzlich kündigungsrelevantes Verhalten.

Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers

Bei verhaltensbedingten Kündigungen müssen dann aber noch stets die Interessen des Arbeitgebers gegen die des Arbeitnehmers abgewogen werden. Neben der Beschäftigungsdauer und der fehlenden einschlägigen Abmahnung wurde zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt, dass er das Flugblatt nur an einen Betriebsangehörigen ausgehändigt hatte.

Er hatte seine Kritik damit nur gegenüber einer einzigen Person kundgetan und noch wichtiger: diese Person gehörte zum Betrieb. Bei Beleidigungen oder Verleumdungen des Arbeitgebers ist es wegen des größeren Wirkungskreises stets schwerwiegender, wenn diese in der Öffentlichkeit oder gegenüber nicht zum Betrieb gehörenden Dritten erfolgt.

Praxistipp: Sachliche Kritik ist ohne weiteres erlaubt

Kritik sollte nach Möglichkeit intern angesprochen werden, mit Hilfe von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten nach Abhilfemöglichkeiten gesucht werden. Der einzelne Beschäftigte kann sich auch mit seinem Beschwerderecht nach §§ 84, 85 BetrVG an den Betriebsrat wenden. Stellt sich der Arbeitgeber dann stur, kann der Betriebsrat ihn in ein Einigungsstellenverfahren zwingen.

Auch kann der Betriebsrat Missstände intern im Intranet, auf Flugblättern oder in Rundmails klar benennen und ihnen so im Betrieb eine größere Öffentlichkeit verschaffen. Selbst den Weg über die Medien darf ein Betriebsrat wählen, wenn die Kritik wahr und sachlich ist. Hierzu ist die Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 08.07.2011 - 6 Sa 713/10 lesenswert. Darin stellt das Gericht strenge Anforderungen an die Kündigung einer Betriebsrätin, die eines kritischen Zeitungsinterviews entlassen wurde.

Lesetipp:

  • Vom Nutzen einer Betriebsratszeitung: »Gedrucktes kommt an« von Helga Ballauf in »Arbeitsrecht im Betrieb« 1/2015, S. 19 – 21 .

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

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