Arbeitnehmerüberlassung

EuGH: Leiharbeiter haben keinen Einstellungsanspruch aus EU-Recht

21. März 2022
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Quelle: © eyetronic / Foto Dollar Club

Ein Leiharbeitnehmer, der insgesamt 55 Monate im Mercedes-Benz-Werk Berlin gearbeitet hat, kann keinen Anspruch auf Festanstellung geltend machen. Allein die lange Gesamtdauer seiner Einsätze führe nicht zu einem Einstellungsanspruch nach EU-Recht - so der Europäische Gerichtshof (EuGH).

Darum geht es

Der Kläger, ein Leiharbeitnehmer, hatte zwischen 2014 und 2019 aufgrund wiederholter Verlängerungen insgesamt 55 Monate bei der Daimler AG im Mercedes-Benz Werk Berlin gearbeitet. Es lag kein Fall der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers vor. Er erhob Klage auf die Festellung, dass zwischen ihm und der Daimler AG als Entleiher ein festes zustande gekommen sei.

Er stützt seinen Anspruch auf § 10 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Danach kommt zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher ein Arbeitsverhältnis u.a. dann zustande, wenn die zulässige Höchstdauer der Überlassung überschritten wurde. Diese Höchstdauer liegt bei 18 Monaten (§ 1 Abs. 1b AÜG). Allerdings gilt eine Übergangsregelung: Beim Berechnen der Überlassungshöchstdauer dürfen nur die nach dem 1. April 2017 zurückgelegten Arbeitszeiten berücksichtigt werden.

Zudem können Tarifverträge von der Höchstdauer abweichen. Im Falle des Klägers gilt der Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg vom 1. Juni 2017. Zudem besteht für die Daimler AG eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20. September 2017. Beide Regelungen sehen eine maximal zulässige Überlassungsdauer von 36 Monaten vor, die ab dem 1. Juni 2017 bzw. dem 1. April 2017 berechnet werden soll.

Unter Berücksichtigung dieser Zeitvorgaben hätte der Leiharbeitnehmer keinen Einstellungsanspruch, weil ein Großteil der 55 Monate vor dem Stichtag gelegen hat. Das zuständige LAG Berlin-Brandenburg legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in diesem Verfahren einige Fragen vor, denn sas AÜG setzt die europäische Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG vom 9.11.2008 in deutsches Recht um. Im Kern geht es um die Frage, ob der EuGH meint, dass sich aus der Richtlinie bei überlanger Einsatzdauer ein Einstellungsanspruch des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher ergibt.

Das sagt der EuGH

Der EuGH verneint in seinem Urteil einen Einstellungsanspruch. Ein Leiharbeitnehmer könne aus dem Unions­recht kein sub­jek­ti­ves Recht auf Be­grün­dung eines Ar­beits­ver­hält­nis­ses mit dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men ab­lei­ten.

Zugleich betonte der EuGH in seinem Urteil, dass es missbräuchlich sein könne, einen Arbeiter jahrelang auf demselben Arbeitsplatz einzusetzen. Allerdings müssten aber auch sämtliche relevanten Umstände, vor allem Besonderheiten der Branche und nationale Regelungen berücksichtigt werden - in diesem Fall die Tariföffnungsklauseln im deutschen AÜG und die daraufhin geschlossenen Tarifverträge.

Der EuGH stellte dabei ausdrücklich fest, dass die Richtlinie 2008/104 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der entleihenden Unternehmen von der durch eine solche Regelung festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers abzuweichen.

Ob ein Einsatz als Leiharbeitnehmer als Reihe aufeinanderfolgender Überlassungen auf demselben Arbeitsplatz beim gleichen entleihenden Unternehmen für eine Dauer von 55 Monaten im Einzelfalls missbräuchlich ist, müsse das zuständige Gericht entscheiden. Was "vorübergehend" bedeutet, müsse das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden.

Für unvereinbar mit der Richtlinie hat der EuGH allerdings eine nationale Regelung wie im AÜG erklärt, die zwar eine Höchstdauer der Überlassung desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen festlegt, aber andererseits durch eine Übergangsvorschrift die Berücksichtigung von Zeiträumen vor dem Inkrafttreten dieser Regelung von der Berechnung ausschließt. Ob eine solche Regelung voerliegt, muss im Einzelfall das Gericht entscheiden.


Hinweis für die Praxis

In diesem Fall sieht sich die Arbeitgeberseite bestätigt: Der Leiharbeitnehmer hat trotz seiner langen Beschäftigungsdauer von 55 Monaten, immerhin 4 1/2 Jahre, keinen direkten Einstellungsanspruch aus Europarecht. Dass das Gesetz eine abweichende Regelung durch Tarifverträge zulässt, wird allerdings Leiharbeitnehmern dann zum Vorteil gereichen, wenn die Gewerkschaften günstigere Bedingungen duchsetzen können.

Zudem hat der EuGH die Ausslegung des Begriffs "vorübergehend" ins Ermessen der nationalen Gerichte gestellt und die "Übergangsklausel" im AÜG durchaus misbilligt. Wenn Leiharbeitnehmer in einer Situation sind, wo die Höchstdauer der Leiharbeit nicht duch abweichende Tarifverträge verlängert wird und der Arbeitgeber sich nur auf die Übergangsvorschrift beruft, könnte eine Klage auf Einstellung durchaus Erfolg haben. Daher bleibt das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg abzuwarten.

Lesetipp:

Leiharbeit: 7 Fragen zur Arbeitnehmerüberlassung (4.4.2019)

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

EuGH (17.03.2022)
Aktenzeichen C‑232/20
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