Massenentlassung

EuGH erweitert Informationsrecht des Betriebsrats vor Stellenabbau

29. August 2018
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Quelle: © Sven Hoppe / Foto Dollar Club

Vor Massenentlassungen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat konsultieren. Diese Pflicht besteht auch, wenn nicht der Arbeitgeber selbst die Massenentlassungen beschließt, sondern ein beherrschendes Unternehmen. Was ein beherrschendes Unternehmen ist, stellt der Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem neuen Urteil klar.

Anlass der Entscheidung war eine Vorlagefrage des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Es ging um die Kündigungsschutzverfahren dreier Klägerinnen, die in der Fluggastabfertigung beim Flughafen Berlin Tegel tätig waren. Die Geschäftsanteile ihrer beklagten Arbeitgeberin (APSB) gehörten einer anderen Gesellschaft (GGB), die wiederum einer Gruppe anderer Gesellschaften (WISAG) gehört.

Streit um Betriebsratsrechte vor Massenentlassung

Im Januar 2015 informierte die APSB den Betriebsrat über eine geplante Massenentlassung und hörte ihn hierzu an. Den Widerspruch des Betriebsrats gegen sämtliche Kündigungen, der damit begründet wurde, dass es sich sowohl bei der APSB als auch bei der GGB um eine von außen gesteuerte Gesellschaft handele, berücksichtigte die APSB in der Folge jedoch nicht.

Gegen die Massenentlassungen wurden erfolgreich mehrere Kündigungsschutzverfahren eingeleitet. Am 10. Juni 2015 unterrichtete die APSB den Betriebsrat, dass sie eine neue Massenentlassung plane. Diese erfolgte am 27. Juni 2015, nunmehr mit Wirkung zum 31. Januar 2016. Die GGB führte dabei dieselben Gründe an wie die, die dem Betriebsrat der APSB bei der vorangegangenen Massenentlassung, die zum 31. August 2015 hatte erfolgen sollen, mitgeteilt worden waren. Die Klagen der Arbeitnehmerinnen gegen ihre erneute Kündigung wurden in erster Instanz abgewiesen.

Grund der Vorlage

Das LAG Berlin-Brandenburg, bei dem Berufung gegen die Urteile eingelegt wurde, ist der Auffassung, dass der Ausgang der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten u. a. von der Auslegung des Begriffs »den Arbeitgeber beherrschende[s] Unternehmen« abhängt. Eine weite Auslegung dieses Begriffs, wonach er auch nicht konzernrechtlich verbundene Unternehmen umfasse, die nur rechtlich oder tatsächlich beherrscht würden, könnte die Unwirksamkeit der in den Ausgangsverfahren fraglichen Kündigungen bedeuten, während dies bei einer engen Auslegung des Begriffs nicht der Fall wäre.

Antwort des EuGH

Der EuGH antwortete: Unter einem »den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen« ist jedes Unternehmen zu verstehen, das

  • mit dem Arbeitgeber durch Beteiligungen an dessen Gesellschaftskapital oder durch andere rechtliche Verbindungen verbunden ist,
  • dessen Verbindungen ihm ermöglichen, in den Entscheidungsorganen des Arbeitgebers einen bestimmenden Einfluss auszuüben,
  • und ihn so zwingen können, Massenentlassungen in Betracht zu ziehen oder vorzunehmen.

Damit sind beispielsweise auch Konstellationen erfasst, wo ein Unternehmen nicht die numerische Mehrheit an den Gesellschaftsanteilen des anderen Unternehmens hält, aber dennoch einen bestimmenden Einfluss auüben kann, etwa:

  • wegen einer breiten Streuung des Gesellschaftskapitals des Arbeitgebers,
  • wegen eines relativ geringen Beteiligungsgrads der Gesellschafter an den Versammlungen,
  • weil entsprechende Verträge zwischen den Gesellschaftern des Arbeitgebers bestehen.

Fazit

Die Informations- und Konsultationspflichten bestehen auch dann, wenn jemand anderes als der formale Arbeitgeber über die Massenentlassung entscheidet. Der Begriff »Beherrschendes Unternehmen« setzt keine Konzernstruktur voraus.

Autor:

Torsten Walter, LL.M. (Leicester), DGB Bundesvorstand

Quelle

EuGH (07.08.2018)
Aktenzeichen C 61/17; C 62/17 und C 72/17
Urteile in den verbundenen Rechtssachen Miriam Bichat (C 61/17), Daniela Chlubna (C 62/17), Isabelle Walkner (C 72/17) gegen Aviation Passage Service Berlin GmbH & Co. KG.
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