Kündigung

Gehalt in der Freistellungsphase zählt mit beim ALG

05. November 2018
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Quelle: magele_Dollarphotoclub

Das Arbeitslosengeld (ALG) bemisst sich nach der Höhe des Gehalts vor der Arbeitslosigkeit. Dazu zählt auch Gehälter, die Arbeitnehmer während einer unwiderruflichen Freistellung erhalten. Die Arbeitsagentur darf diese Zahlungen nicht außer Betracht lassen. Von Bastian Brackelmann.

Die Klägerin - eine Pharmareferentin - vereinbarte mit ihrem Arbeitgeber einvernehmlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2012. Ab dem 1. Mai 2011 war sie für ein Jahr unwiderruflich von ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Der Arbeitgeber zahlte in diesem Zeitraum die monatliche Vergütung weiter. Als die Klägerin anschließend Arbeitslosengeld (ALG) beantragte, ließ die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Vergütung in der Freistellungsphase außer Betracht. Die BA ist der Ansicht, die Beschäftigung habe mit Beginn der Freistellung geendet. Entsprechend niedriger fiel das ALG der Klägerin aus.

Wann endet das Beschäftigungsverhältnis?

In der Regel enden Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis zur selben Zeit. Ab dem Zeitpunkt einer Freistellung aber wird ein Arbeitnehmer tatsächlich nicht mehr beschäftigt, obwohl das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. In einem solchen Fall hatte ein Arbeitgeber zwar die Vergütung gezahlt, jedoch keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.

Zwei Beschäftigungsbegriffe – je nach Sinn und Zweck

Für diese Konstellation entscheid das BSG (Urteil vom 24.09.2008 - B 12 KR 22/07 R), dass zwar das Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne mit der Freistellung geendet habe. Für die Sozialversicherungs- und Beitragspflicht komme es jedoch auf das Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinne an. Dieses bestehe wegen der rechtlichen Verbindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort.

Es kommt auch vor, dass ein Arbeitnehmer weiter beschäftigt wird, aber keinen Lohn erhält. Dann werden auch keine Sozialbeiträge gezahlt. Nach § 157 Abs. 3 SGB III kann der dann trotz bestehender Beschäftigung und trotz Lohnanspruch Arbeitslosengeld beziehen (sog. Gleichwohlgewährung). Hier kommt es also auf die leistungsrechtliche Beschäftigung an (Beschäftigung, für die es Leistungen gibt).

Und wie ist es bei der Höhe des Arbeitslosengeldes?

Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Zeitraum von einem Jahr, über den die Höhe des Alg zu bestimmen ist, die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen. In der Vergangenheit hatten nahezu alle Sozialgerichtliche hierbei ohne ersichtlichen Grund auf das Ende der leistungsrechtlichen Beschäftigung abgestellt. Daher zählte das Gehalt aus einer Freistellung beim Alg nicht mit, was oft zu hohen Einbußen führte.

Jetzt entschied das BSG, dass für die ALG-Bemessung im Sinne des § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III der Begriff der Beschäftigung im versicherungsrechtlichen Sinn maßgebend ist. Daher zählt auch die Freistellung mit. Für die Klägerin erhöhte sich das ALG auf diese Weise von etwa 28 Euro täglich auf 58 Euro täglich. Dies entspricht bei einem Jahr ALG-Bezug einem Unterschied von über 10.000 Euro.

Praxistipp:

Die häufigste Fall der Freistellung ist diejenige für die Dauer der Kündigungsfrist nach Ausspruch einer Kündigung. In diesem Fall bleibt der Vergütungsanspruch des Versicherten/Arbeitnehmers bestehen und der Arbeitgeber befindet sich regelmäßig in Annahmeverzug. Das hat zur Folge, dass auch die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger weiterhin entstehen, vgl. § 22 Abs. 1 SGB IV. Arbeitsrechtlich erklärt der Arbeitgeber einseitig auf die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung zu verzichten.

Freistellung ist nicht mitbestimmungspflichtig

Ob ein Arbeitnehmer freigestellt wird, kann der Arbeitgeber entscheiden, ohne dass der Betriebsrat dabei mitbestimmen muss. Die Aufzählung der mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen in § 99 Abs. 1 BetrVG ist abschließend. Und eine Freistellung ist keine Versetzung in diesem Sinne, weil zwar ein Aufgabenbereich entzogen, jedoch kein neuer zugewiesen wird. Erfolgt die Freistellung mit Ausspruch der Kündigung kann der BR der Kündigung mit dem Argument widersprechen, dass Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen (vgl. § 102 Abs. Nr. 3 bis 5 BetrVG). Der Arbeitnehmer kann dann auf dieser Grundlage seine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangen, § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG.

Bastian Brackelmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

BSG (30.08.2018)
Aktenzeichen B 11 AL 15/17 R
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung vom 7.11.2018.
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