Virtuelles Zuschalten zu Präsenzsitzungen

Der vorliegende Fall spielt sich im BetrVG ab, kann aber auch auf Personräte übertragen werden: Die Antragstellerin gehört aufgrund spezifischer chronischer Vorerkrankungen zur Covid-19-Risikogruppe. Sie wohnt in Köln und ist Mitglied in einem Konzernbetriebsrat. Dieser hatte eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Nutzung eines Videokonferenz-Tools abgeschlossen, aber dennoch beschlossen, eigene Sitzungen und die seiner Ausschüsse präsent in Frankfurt durchzuführen.
Die Antragstellerin bat darum, an der nächsten Sitzung eines Ausschusses, dem sie angehörte, virtuell teilnehmen zu können. Wegen ihrer Vorerkrankungen sollte sie auf ärztlichen Rat hin weder Reisen noch an der präsenten Sitzung teilnehmen. Der Ausschussvorsitzende lehnte ihren Antrag unter Verweis auf die Entscheidung des Konzernbetriebsrates ab.
Die Antragstellerin begehrte, per einstweiliger Verfügung virtuell an der nächsten Sitzung teilnehmen zu dürfen.
Das sagt das Gericht
Das Gericht gab dem Antrag statt und verpflichtete den Ausschussvorsitzenden im Wege einer einstweiligen Verfügung dazu, der Antragstellerin die Teilnahme an der nächsten Ausschusssitzung virtuell zu ermöglichen.
Zwar stehe der Ausschussvorsitzenden ein Ermessen darüber zu, die Sitzung virtuell oder präsent durchzuführen. Ist einem Mitglied die Teilnahme nur virtuell zumutbar, reduziert sich das Ermessen aber auf die Entscheidung, entweder die ganze Sitzung virtuell durchzuführen oder dem einzelnen Mitglied eine virtuelle Zuschaltung zu ermöglichen.
Das bedeutet die Entscheidung für Sie
Die Entscheidung würdigt zutreffend den weiten Ermessensspielraum der Sitzungsleitung.
Ein einzelnes Mitglied kann die Durchführung der Sitzung als virtuelle Sitzung nicht erzwingen. Der Ermessensspielraum findet erst dort seine Grenzen, wo die Ausübung des Betriebsratsmandates empfindlich eingeschränkt wird. Hier darf ein Betriebsratsvorsitzender oder Ausschussvorsitzender den Gestaltungsraum, den § 129 BetrVG eröffnet, nicht völlig unbeachtet lassen.
Auch das BPersVG und viele der Landespersonalvertretungsgesetze erlauben befristet das Durchführen virtueller Sitzungen. Die Wertungen des Arbeitsgerichts Frankfurt dürften auch in diesem Bereich greifen. Jedenfalls sollten Personalratsvorsitzende immer auch die Interessen der Personalratsmitglieder mit Vorerkrankungen im Blick haben.
Dr. Michael Bachner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei schwegler rechtsanwälte, Frankfurt am Main und Daniel Wall, Rechtsanwalt bei schwegler rechtsanwälte, Frankfurt am Main
Quelle
Aktenzeichen 26 BV Ga 382/20