Videoaufnahmen

Wann müssen Bilder von Polizeieinsatz verpixelt sein?

08. November 2023
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Quelle: © Sven Hoppe / Foto Dollar Club

Internetmedien dürfen nach einem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Videomaterial von Polizeieinsätzen veröffentlichen, auf dem Polizeibeamte zu erkennen sind. Das gilt aber nicht absolut, sondern es kommt auf die Abwägung im Einzelfall an.

Darum geht es

Bild.de, ein Nachrichtenportal des Axel-Springer-Verlags, hatte unverpixeltes Videomaterial von einem Polizeieinsatz in einem Bremer Nachtclub am 23. Juni 2013 wiedergegeben. Die Polizei war dorthin gerufen worden, weil sich ein Kunde, D., aggressiv gegenüber dem Personal verhalten habe.

Das Videomaterial, das die Bild vom Nachtclubbesitzer erhalten hatte, zeigte mehrere Polizisten, die D. gewaltsam zu Boden brachten. Einer von ihnen schlug D. mit dem Schlagstock und trat ihn, als er bereits bewegungsunfähig auf dem Boden lag. Dazu lief ein kritischer Kommentar („… Dieses Videomaterial zeigt deutlich, wie brutal die Bremer Polizei mit angeblichen Randalierern umgeht. D. hatte angeblich Arger gemacht und geschimpft.“)

Einer der Polizisten, P., war deutlich zu erkennen. Allerdings zeigte das Video keine exzessive Gewaltanwendung durch P. Am 12. Juli 2013 veröffentlichte Bild.de weiteres Videomaterial, auf dem zu sehen ist, wie D. Prospekte in Richtung des Nachtclubpersonals wirft und drohende Gesten macht.

Auf Klage von P. verurteilte das Landgericht Oldenburg Bild zur Unterlassung der Zugänglichmachung des Videomaterials. Die Berufung wies das Oberlandesgericht Oldenburg als offensichtlich unbegründet zurück. Eine Verfassungsbeschwerde der Bild nahm das Bundesverfassungsgericht ohne Begründung nicht zur Entscheidung an.

Das sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Der EGMR gab der Beschwerde der Bild statt. Er befand, dass eine Verletzung von Art. 10 EMRK vorlag und verurteilte Deutschland zur Zahlung von 12000 € Kosten und Auslagen an Bild. Die Entscheidung ist im Moment noch nicht rechtskräftig.

Abwägung zwischen „freedom of expression“ und Recht auf Privatleben

Das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK („freedom of expression“) und das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK sind gegeneinander abzuwägen. Dabei fällt Verschiedenes in die Waagschale, insbesondere, ob ein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse geleistet wird, wie bekannt die betroffene Person ist, deren Vorverhalten, Inhalt, Form und Konsequenzen der Veröffentlichung, die Richtigkeit der Information, und wie diese beschafft wurde. Medien haben „Pflichten und Verantwortlichkeiten“; sie müssen sich selbst von Fall zu Fall spontan Grenzen auferlegen. Sie müssen, wenn es um ein Bildnis einer Person geht, die Auswirkungen der Veröffentlichung bedenken. Audiovisuelle Medien, insbesondere im Internet, haben dabei mehr Wirkung als Druckmedien.

Die Veröffentlichung eines Bildes fällt in den Bereich des Privatlebens. Das Recht auf Schutz des eigenen Bildes umfasst die Möglichkeit, die Veröffentlichung zu untersagen, und auch das Recht, einer Aufnahme zu widersprechen.

Zunächst korrekte Abwägung

Landgericht und Oberlandesgericht haben das öffentliche Interesse an der Berichterstattung über Polizeigewalt anerkannt und angemessen berücksichtigt. Der Gerichtshof erkennt an, dass die Gerichtsentscheidungen sich spezifisch auf das Unkenntlichmachen von P. bezogen, und dass nicht behauptet wurde, er habe seine Kompetenzen missbraucht oder sich sonstwie illegal verhalten. Angesichts dessen akzeptiert er insoweit den Befund des Landgerichts.

Beamte im Blick der Öffentlichkeit?

Es ist zu unterscheiden, ob jemand als politische oder öffentliche Person handelt. Da P. bei dem Einsatz nicht die öffentliche Aufmerksamkeit suchte, ist er hier nicht als öffentliche Person zu betrachten. Beamte unterziehen sich nicht der gleichen öffentlichen peniblen Beurteilung jedes ihrer Worte und jeder ihrer Handlungen wie Politiker und sind deshalb auch nicht wie solche zu behandeln. Sie können aber, wenn sie in ihrem Amt handeln, sich mehr hinnehmbarer Kritik als Privatpersonen ausgesetzt sehen.

Erstberichterstattung und Folgeberichterstattung

Die nationalen Gerichte hatten betont, wie kritisch die Erstberichterstattung war, und dass diese nur den Polizeieinsatz und nicht das vorherige Verhalten D.s zeigte. Hierzu sagt der Gerichtshof, dass, was wiedergegeben wird und wie, unter die journalistische Freiheit fällt. Diese Freiheit bringt aber Verantwortung mit sich. Ethische Grundsätze müssen beachtet werden. Das kann auch zur Pflicht führen, das Bild einer Person unkenntlich zu machen. Mit der Annahme, dass die Art der Berichterstattung und das Weglassen von Informationen berücksichtigt werden müssen, stimmt der Gerichtshof deshalb überein.

Der zweite Bericht jedoch zeigte D‘s aggressives Verhalten. Das Urteil betraf aber nicht nur die Erstberichterstattung, sondern auch den zweiten Bericht und sogar alle künftigen Berichte. Die Argumente gegen den Audiokommentar betreffen außerdem nicht das Bildmaterial selbst. Hier besteht wieder ein Bedarf an Abwägung, und diese haben die nationalen Gerichte nicht vorgenommen. Das könnte dazu führen, dass in Zukunft die unverpixelte Wiedergabe von Bildern von Polizisten im Dienst gar nicht mehr möglich ist. Der Gerichtshof akzeptiert nicht, dass ein solcher Eingriff notwendig in einer demokratischen Gesellschaft im Sinne des Artikels 10 EMRK sei. Es lag deshalb eine Verletzung dieses Artikels vor.

Torsten Walter, LL.M. (Leicester)

DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht und Vielfalt

© bund-verlag,de

Quelle

EGMR (31.10.2023)
Aktenzeichen 9602/18
Quelle: EGMR, Urteil vom 31.10.2023, Nr. 9602/18, Bild GmbH & Co KG gegen Deutschland
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