Preisträger im Interview

Polizeischutz für die Demokratie

08. Februar 2024
Gold

Die Polizei-Personalräte von Niedersachsen unterstützen aktiv eine Bildungsinitiative zur Stärkung der demokratischen Widerstandskraft und erhalten dafür den Goldpreis 2023. Imme Hildebrandt, Mitglied im Personalrat des niedersächsischen LKA, über Demokratiepaten und Rassismus-Vorwürfe.

Sie haben ein »Bildungskonzept zur Stärkung der demokratischen Widerstandskraft der Beschäftigten in der Polizei Niedersachsen« mit entwickelt. Wieso?

Die Idee ist in der Forschungsstelle der Niedersächsischen Polizeiakademie entstanden und in einem Gespräch mit dem damaligen niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius,
dem Vorsitzenden des Polizeihauptpersonalrats Martin Hellweg und dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen Dietmar Schilff auf den Weg gebracht worden. Die Personalvertretungen, als einzig demokratisch gewählte Gremien in der Polizei, sind als Projekttreiber und Mitinitiatoren sehr schnell und proaktiv mit eingestiegen. Dahinter steht die feste Überzeugung, dass das Leben in einer freien Gesellschaft nicht selbstverständlich ist. Daher sollte auch jede Kollegin und jeder Kollege, ob im Streifenoder Innendienst, oder, wie ich in der Kriminaltechnik, nachhaltig dafür sensibilisiert und darin gestärkt werden, sich für den Schutz und die Werte unserer Demokratie einzusetzen.Außerdem wollen wir damit auch gegen die latenten Vorwürfe, dass die Polizei strukturell rechtsradikal und rassistisch durchsetzt sei, ein klares Zeichen setzen. Wer immer noch glaubt, dass von uns »Reichsbürger« oder sonstige Antidemokraten geduldet oder gar unterstützt werden, verkennt die Realität.

Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Das Projekt, gestartet im Jahr 2019, setzt auf die Integration aller wichtigen Akteure. Im Rahmen einer Landesstrategie der Polizei Niedersachsen wird parallel dafür Sorge getragen, dass alle Behörden eng eingebunden und mitgenommen werden. Zu den ersten Schritten zählte, dass sogenannte Strategiepaten für Demokratie – daraus wurden später die »Demokratiepaten « – aus- und fortgebildet werden. Dazu wurden Tandems gebildet, die jeweils aus einer Führungskraft und einem Mitglied der Personalvertretung bestehen. Wer, wenn nicht wir als Personalräte, haben den direkten Draht zu den Kollegen und Kolleginnen und können als Multiplikatoren für diese tolle Idee werben und sie auch leben.

Was kann ich mir unter »Demokratiepaten und Demokratiepatinnen« vorstellen?

Das Modell der freiwilligen Demokratiearbeit in der Polizei Niedersachsen basiert auf einer umfangreichen Fortbildung, die verschiedene Module umfasst. Zentral ist dabei, das eigene Demokratieverständnis und die proaktive Unterstützung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung herauszuarbeiten. Hinzu kommt der Erwerb methodischer und didaktischer Kompetenzen, um im direkten Kontakt mit den Kollegen und Kolleginnen und den Vertretern der Zivilgesellschaft aktiv zu werden. Eigeninitiative ist gefragt und auch Individualität, denn Polizei ist nicht gleich Polizei. Eine Dienststelle in der Fläche hat andere Anforderungen als eine Behörde wie das Landeskriminalamt (LKA).

Mittlerweile sind bereits 120 Demokratiepaten im Einsatz und haben eine Vielzahl von Aktionen und Projekten auf die Beine gestellt. Dazu zählen Projekte der Erinnerungsarbeit wie Ausstellungsprojekte, u.a. zur Geschichte  der Polizei in der Weimarer Republik, und beispielsweise Vortragsreihen zur Demokratiebildung. Wir kooperieren mit verschiedenen Gedenkstätten, es gibt Projekte mit Schulen und auch kleinere Veranstaltungen, das kann auch mal ein interkulturelles Frühstück sein, an dem neben Kollegen und Kolleginnen auch Vertreter türkischer Kulturvereine und jüdischer Gemeinden teilnehmen.

Wie ist die Resonanz auf das Projekt?

Intern treffen wir auf großes Interesse bei den Kollegen und Kolleginnen. Wir sind davon überzeugt, dass die verschiedenen Maßnahmen und die Demokratiepaten vor Ort dazu beitragen, dass Polizistinnen und Polizisten reflektierter mit diesem wichtigen Thema umgehen. Aber auch von »außen« ist die Resonanz sehr ermutigend. Ein zentraler Partner ist der Verein »Gegen Vergessen − für Demokratie e.V.« mit Sitz in Berlin, der sich schon lange mit Themen der Erinnerungsarbeit beschäftigt, ebenso wie mit Maßnahmen zur Demokratieförderung. Mit diesem haben wir u.a. zwei Demokratiekongresse in Hannover veranstaltet. Bis 2026 werden wir über den Verein finanziell von der Stiftung Mercator gefördert. Mittlerweile gibt es Folgeprojekte bei der Polizei  in Schleswig-Holstein; auch Thüringen und Baden-Württemberg haben sich inhaltlich an unserem Modell orientiert.

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Und jetzt, Projekt abgeschlossen?

Auf keinen Fall. Es rücken junge Kollegen und Kolleginnen nach, die wir natürlich auch erreichen wollen. Daher wird es in Niedersachsen weitere Qualifizierungen geben, geplant sind zwei Ausbildungsgänge zu Demokratiepaten pro Jahr, um das Thema nachhaltig zu verankern. Außerdem haben wir als Personalräte noch weitere Ideen in petto. Dazu zählt, dass wir das Thema Demokratiearbeit als Aufgabe von Personalräten in unser Personalvertretungsgesetz mit aufnehmen möchten. Wir wollen zudem den Einsatz für Demokratie als ständigen Agenda-Punkt im Gespräch zwischen Personalrat und Dienststelle verankern. Es wäre begrüßenswert, wenn auch bei der Führungskräfteauswahl dieser Aspekt künftig eine Rolle spielt. Es bleibt noch eine Menge zu tun, aber wir haben ausführlich evaluiert und viel Best-Practice gesammelt, um die Weiterentwicklung voranzutreiben.

Das Interview führte Christof Herrmann, Pressesprecher des Bund-Verlags.

Aus: Der Personalrat 2/2024, S. 19

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