Agile Arbeit

3 Fragen zu Chancen und Risiken von agiler Arbeit

10. Mai 2019 Agile Arbeit
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Quelle: © Monkey Business / Foto Dollar Club

Immer mehr Unternehmen arbeiten mit agilen Methoden. Ein Trend, der aus der Softwareentwicklung in sämtliche Büros schwappt. Es geht darum, Arbeit neu zu organisieren. Doch was bedeutet das für Beschäftigte und Betriebsräte? Antworten gibt Dr. Claudia Niewerth in der »Arbeitsrecht im Betrieb«.

Was gibt es für Methoden und Grundlagen des agilen Projektmanagements im Betrieb?

Claudia Niewerth:

Mittlerweile sind agile Methoden auch außerhalb der Softwareentwicklung erfolgreich im Einsatz und finden immer größere Verbreitung. Eine repräsentative Befragung von mehr als 300 Unternehmen ab 500 Mitarbeitern, die von Bitkom Research im Jahr 2018 durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass jedes zweite Großunternehmen bereits auf agiles Projektmanagement setzt.

Bei den Unternehmen mit 2000 Beschäftigten und mehr sind es bereits 56 Prozent, Tendenz steigend. Gut 65 Prozent der deutschen Unternehmen hält Projekte, die agil durchgeführt werden, für erfolgreicher. Sie erlauben eine einfachere Zusammenarbeit mit freiberuflichen Spezialisten, die heute bereits rund ein Viertel des gesamten Arbeitsvolumens in IT-Projekten übernehmen. Allgemein wird agiles Projektmanagement als Konkurrenzkonzept zum klassischen Projektmanagement nach dem Wasserfall-Prinzip verstanden, immer häufiger allerdings lassen sich auch Fälle finden, in denen Methoden des klassischen wie des agilen Projektmanagements miteinander kombiniert werden.

Die Grundlagen agilen Projektmanagements finden sich im Agilen Manifest (»agile manifesto«). Es wurde 2001 von einer Gruppe namhafter Softwareentwickler ausgearbeitet und beschreibt Werte und Prinzipien agiler Teams. Im Agilen Manifest werden Werte zueinander in Beziehung gesetzt, um damit die grundlegenden Annahmen des agilen Arbeitens zu verdeutlichen: so werden Individuen und Interaktionen mehr wertgeschätzt als Prozesse und Werkzeuge, funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation, Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung und das Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans. Aus diesen Werteannahmen wurden weiterhin zwölf agile Prinzipien formuliert, die die Grundlage des agilen Projektmanagements bilden. Aus diesen Grundlagen haben sich mittlerweile eine Vielzahl von Methoden und Techniken entwickelt, die helfen, die Werte und Prinzipien des Agilen Manifests in die Praxis zu übersetzen.

Die berühmtesten agilen Methoden sind sicherlich Scrum, Kanban oder das Design Thinking. Agiles Projektmanagement mit Scrum zeichnet sich durch einige wesentliche Merkmale aus, die sich durch Rollen, Ereignisse und Artefakte beschreiben lassen. Während beim klassischen Wasserfall-Modell ein Projekt im Vorfeld bereits detailliert geplant und mit Anforderungen versehen wird, erhalten Scrum-Teams ihre Arbeitsaufgaben erst kurz vor Implementierung und in der Regel auch nur für das jeweils zu entwickelnde Teilstück (Inkrement). Die Arbeit von Scrum-Teams ist gekennzeichnet von Eigenverantwortung und Selbststeuerung; die tägliche Arbeit ist strukturiert durch regelmäßige Ereignisse, sogenannte Sprints, Daily-Standups, Reviews oder Retrospektiven. Bezeichnend für das Scrum-Framework sind die hohen Freiheitsgrade auf der einen Seite und ein strenges Regelwerk auf der anderen Seite.

Wo liegen die Herausforderungen beim Arbeiten in agilen selbstorganisierten Teams?

Claudia Niewerth:

Sicherlich ist eine der größten Herausforderungen, die hohen Freiheitsgrade und Handlungsspielräume in der Arbeit wahrzunehmen, ohne dass es dabei zu Leistungsüberforderung und Arbeitsverdichtung kommt. Insbesondere der Wegfall von Erhol- oder Pausenzeiten in Kombination mit zunehmender Entgrenzung von Arbeitszeiten lässt eine Zunahme psychischer Belastung beobachten.

Weiterhin liegt eine große Herausforderung darin, auf Führungsstrukturen im klassischen Sinne zu verzichten – diese Herausforderung teilen Teams wie Führungskräfte gleichermaßen. Selbstorganisation in agilen Strukturen bedeutet, dass sich Teammitglieder idealerweise selbst in Teams zusammenfinden, dass sie beispielsweise während des Planens als Scrum-Team ihre Arbeitsaufgaben in den Aufwänden selbst schätzen, dass das Team eigenverantwortlich die eigene Arbeit verbessert und sich kontinuierlich weiter qualifiziert. Diese und viele weitere Ausprägungen von Selbstorganisation machen deutlich, dass es sich dabei nicht um einen Selbstläufer handelt. Teammitglieder müssen – neben ihren crossfunktionalen Fertigkeiten – mit sozialen wie methodischen Kompetenzen ausgestattet werden, um für die Selbstorganisation befähigt zu sein. Auf der anderen Seite müssen die ehemaligen Führungskräfte ebenfalls an ihre neue Rolle herangeführt und auf ihre neuen Aufgaben in der agilen Organisation vorbereitet werden.

Wie kann eine gute agile Projektarbeit unter Beteiligung des Betriebsrats erreicht und betrieblich umgesetzt werden?

Claudia Niewerth:

Agiles Arbeiten ist in vielen Unternehmen bereits fester Bestandteil der Arbeitsorganisation. Der Veränderungsprozess stellt die Unternehmen selbst vor große Herausforderungen – gerade weil agile Prozesse revolutionäre Veränderungen darstellen. Der Betriebsrat ist in diesem Kontext sehr wichtig, denn häufig sind beim Umbau einer Organisation auf agile Strukturen mitbestimmungsrelevante Bereiche betroffen. Diese gilt es zu berücksichtigen, da sich auch agiles Arbeiten in den Grenzen gesetzlicher Rahmenbedingungen bewegen muss. Bestehen aufseiten der Einführenden agiler Prozesse häufig große Vorbehalte gegenüber einer betrieblichen Interessenvertretung, beobachten Betriebsräte die in den Unternehmen vorangetriebenen Entwicklungen ebenfalls mit erheblicher Skepsis. Arbeitsverdichtung und Leistungsüberforderung als Ergebnis agilen Arbeitens, die Verletzung von Arbeitsschutzgesetzen und die zunehmende Entgrenzung von Arbeit beschreiben nur einen Teil der Befürchtungen, die Betriebsräte mit agilem Projektmanagement verbinden. Trotz aller Vorbehalte und Skepsis auf beiden Seiten, zeigt sich gerade in der betrieblichen Praxis, dass eine frühzeitige Einbindung des Betriebsrats in den Change-Prozess ein erster wichtiger Schritt ist, agile Projektarbeit erfolgreich einzuführen.

Zunächst muss geprüft werden, ob die Einführung agiler Methoden wie Scrum Mitbestimmungsrechte berührt. Wenn die ganze Organisation betroffen ist, handelt es sich dabei dann um eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG? Oder sind Informations-, Beratungs- oder Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betroffen? Bereits hier kann ein sozialpartnerschaftliches Herangehen an diesen Prozess initiiert werden: Die Klärung der Beteiligungsrechte bei der Einführung kann erste Hindernisse aus dem Weg räumen. Im zweiten Schritt werden die betrieblichen Akteure hinreichend zum neuen Arbeitssystem geschult und fachliche Kompetenzen aufgebaut. Dazu zählen sowohl theoretische Kenntnisse über agile Methoden wie auch die Auseinandersetzung darüber, wie diese im eigenen Unternehmen angewendet werden sollen. Der dritte Schritt sieht vor, den Einführungsprozess in einer Betriebsvereinbarung zu steuern und sich über Chancen und Risiken zu verständigen. Hier wird sich im Einzelnen konkret über die spezifischen Ausprägungen des agilen Arbeitens verständigt und sie werden geregelt. Dieser Ansatz stößt bei der Einführung agiler Methoden oft auf Widerstand, da man denkt, agiles Arbeiten sei frei von Regeln. Das Gegenteil ist der Fall: agiles Arbeiten wird gestützt von zahlreichen Regeln. Die Einführung von agilen Strukturen durch eine Betriebsvereinbarung sozialpartnerschaftlich zu flankieren ist lediglich ein weiteres Rahmenwerk, um die Idee von guter Arbeit im Unternehmen erfolgreich zu gestalten.

Dr. Claudia Niewerth ist Geschäftsführerin des Helex Instituts, Bochum.

 

Lesetipp der Online-Redaktion:

 

Quelle:

»Arbeitsrecht im Betrieb« 4/2019, S. 15f. Jetzt 2 Ausgaben gratis testen!

© bund-verlag.de (ls)

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