Datenschutz

Abstandsregeln per Video überwachen?

03. Juni 2020 Betriebsrat, Corona, Datenschutz
Corona-NL Rechtsprechung
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Ein Arbeitgeber will mittels Videoanalyse überprüfen, ob im Betrieb die Abstandsvorschriften zur Vermeidung einer Ansteckung mit dem Covid 19 Virus eingehalten werden. Das geht nur mit Beteiligung des Betriebsrats. Die aktuelle Pandemie ist kein Notfall, der das Mitbestimmungsrecht einschränkt – so entschied zutreffend das ArbG Wesel.

Leitsatz

Das Überwachen der Einhaltung der Abstandsregelungen »wegen COVID-19« mittels einer Analyse der Videoaufzeichnung unterliegt der Mitbestimmung. Diese ist auch während der Pandemie nicht eingeschränkt (ArbG Wesel, Beschluss vom 24. April 2020 – 2 BVGa 4/20).

Darum geht es

Der Arbeitgeber, ein Logistikunternehmen mit ca. 1.630 Mitarbeitern, ließ mittels mitbestimmt installierter Kameras auf dem Betriebsgelände in einem Intervall von 5 Minuten automatisiert Standbilder erzeugen. Sobald die Software erkannte, dass sich auf dem Bild mehr als zwei Personen befanden, sandte es das Bild verpixelt an eine externe Agentur. Diese analysierte, ob die Personen auf dem Bild die im Betrieb geltenden Mindestabstände einhielten.  

War dies nach Einschätzung der Agentur nicht der Fall, wurde notiert, wann und wo das Bild aufgenommen wurde und wieso ein möglicher Verstoß gegen Abstandsregelungen vorliegt. Der Arbeitgeber erhielt täglich einen automatisiert erstellten Bericht und die dazugehörigen weiterhin anonymisierten Bilder. Der Betriebsrat war in den Prozess nicht eingebunden worden.

Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, die Aufnahme der Standbilder, deren Analyse durch Dritte und die Verwendung der Kameras zu dem Zweck, die Einhaltung von Abstandsregeln zu überprüfen, unterliege seiner Mitbestimmung.

Der Arbeitgeber meinte: Durch die vollständige Anonymisierung der Standbilder sei eine Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Arbeitnehmer ausgeschlossen. Deswegen bestehe kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Auch handele es sich nicht um eine mitbestimmungspflichtige Gefährdungsbeurteilung.  

Das sagt das Gericht

Das Gericht gab dem Betriebsrat Recht. Der Betriebsrat hat bei der Verwendung der Kameras zu dem Zweck, die Einhaltung der Abstandsregeln zu überwachen, und der Analyse durch Dritte mitzubestimmen. Der Betriebsrat kann, solange er nicht zugestimmt hat, Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Handlungen fordern und er kann dies auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen.

Der Arbeitgeber darf Aufzeichnungen der Kameras allein zu dem Zweck und in dem Rahmen erstellen und auswerten, der in der jeweiligen Betriebsvereinbarung vereinbart ist. Gibt es keine Betriebsvereinbarung hierzu, ist die Videoüberwachung insgesamt unzulässig.

Mitbestimmung trotz Verpixelung

Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG setzt voraus, dass nichtanonymisierte Daten verarbeitet werden. Nur dann ist eine Leistungskontrolle möglich. Bei der Übertragung von verpixelten Bildern bleibt das Mitbestimmungsrecht aber erhalten, solange die Verpixelung der Bilder nicht technisch unumkehrbar ist. Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber die Auswertung nicht selbst vornimmt, sondern durch einen Dritten vornehmen lässt, macht die Weitergabe der Aufnahmen nicht mitbestimmungsfrei.

Standbilder dienen der Gefährdungsbeurteilung

Auch nach § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 ArbSchG besteht ein Mitbestimmungsrecht: Die Auswertung des Bildmaterials ist eine Untersuchungsmethode und dient gerade der Feststellung, ob entsprechende Gefahren wegen Unterschreiten des Mindestabstandes bestehen. Es handelt sich deswegen nicht um der Gefährdungsbeurteilung vorgelagerte Maßnahmen.

Keine Einschränkung des Mitbestimmungsrechts während der Pandemie

Die Überwachung der Abstandsregeln mag zwar ein durch die Pandemie begründeter Eilfall sein. Aber: Eilfälle verkürzen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht. Die Überwachung der Abstandsregeln stellt keinen extremen Notfall dar, der eine Mitbestimmung ausschließen würde.

Zwar gesteht das Gericht dem Arbeitgeber zu, dass die aktuelle Pandemie es im Einzelfall unzumutbar erscheinen lassen kann, bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes das Mitbestimmungsverfahren bis zum eventuellen Abschluss einer Einigungsstelle durchzuführen. Doch einen solch intensiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer rechtfertige dies nicht.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie

Alle Maßnahmen zur Beurteilung, ob betriebliche Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, sind mitbestimmungspflichtig. Die aktuelle Pandemie schränkt das Mitbestimmungsrecht nicht ein. Soweit für die Beurteilung technische Einrichtungen verwendet werden, besteht neben dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG ein zusätzliches nach dessen Ziffer 6.

Der Betriebsrat kann einer Betriebsvereinbarung zustimmen, mit der dem Arbeitgeber ermöglicht wird, Pandemieschutzvorschriften im Betrieb mittels Videokameras zu überwachen. Dabei darf nur das notwendige Maß an Daten gespeichert werden. Es genügt i.d.R., in einem Zeitintervall von fünf Minuten Standbilder zu erzeugen. Auch die Bilder vor der Analyse zu verpixeln, ist ein guter Ansatz. Kann die Analyse nur durch Externe durchgeführt werden, sollte die Verpixelung technisch unumkehrbar sein. Ansonsten sollte eine (Zwischen-)Speicherung der Bilder auf Servern außerhalb der EU unbedingt unterbunden sein.

Lässt sich eine Einigung nicht erzielen, muss der Arbeitgeber in diesen Fällen zunächst die Einigungsstelle anrufen.

Dr. jur. Michael Bachner, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Daniel Wall, Rechtsanwalt

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Quelle

ArbG Wesel (24.04.2020)
Aktenzeichen 2 BVGa 4/20
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