Verhaltensbedingte Kündigung

Kritik am Arbeitgeber ist erlaubt

04. März 2020
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Quelle: © S. Engels / Foto Dollar Club

Beschäftigte dürfen Kritik am Arbeitgeber äußern - allerdings sollte sie sachlich begründet sein. Es rechtfertigt keine Kündigung, wenn ein Arbeitnehmer eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhebt, weil die Personalabteilung seine Überstunden über Monate nicht bezahlt hat. Von Bettina Krämer.

Darum geht es:

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer war bei einem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen als Straßenbahnfahrer tätig. 2017 erlitt er einen Arbeitsunfall und war danach lange Zeit erkrankt. Eine Tätigkeit als Straßenbahnfahrer kam nach dem Unfall dauerhaft nicht mehr in Betracht. Der Arbeitnehmer verlangte im Dezember 2018 die Bezahlung seiner noch aus dem Jahr 2017 stammenden 13,5 Überstunden in Höhe von ca. 200 Euro.

Anfang März 2019 wurde ihm eine Auszahlung zugesagt. Nachdem eine Zahlung nicht erfolgte, rief der Arbeitnehmer im März 2019 deswegen die Personalabteilung an.

Er verlangte die Entscheidung und die Auszahlung noch am selben Tag, zwar zumindest als Zwischenzahlung. Die Mitarbeiterin teilte mit, dass sie dies mit einem anderen Mitarbeiter abklären müsse. Darauf ließ der Kläger sich nicht ein, sondern fragte, was denn passieren würde, wenn der andere Mitarbeiter sterbe. Denn dann müsse ja jemand anders die Entscheidung treffen. Erhalte er keine Rückmeldung, dann würde er am gleichen Tag Dienstaufsichtsbeschwerde erheben.

Da nichts passierte, reichte der Arbeitnehmer noch am selben Tag Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitarbeiterin der Personalabteilung und den stellvertretenden Leiter der Personalabteilung ein. Darin stellte er den Sachverhalt der nicht bezahlten Mehrarbeit aus seiner Sicht dar und formulierte abschließend, dass die Mitarbeiter verpflichtet seien, ihm seine Bezüge auszuzahlen, diese aber veruntreuen würden und sich somit strafbar machten. Im April 2019 bezahlte die Arbeitgeberin ihm den Überstundenausgleich von 200 Euro aus.

Die Arbeitgeberin kündigte den Arbeitnehmer wegen seines Verhaltens gegenüber der Personalabteilung fristlos am 15. April 2019, hilfsweise ordentlich zum 30. September. Inklusionsamt, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung waren ordnungsgemäß beteiligt. Der Arbeitnehmer wollte die Kündigung nicht hinnehmen und klagte.

Das sagt das Gericht

Die Richter befanden in beiden Instanzen die Kündigungen als rechtswidrig. Während das Arbeitsgericht Düsseldorf der Kündigungsschutzklage stattgab, endete das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf mit einem Vergleich, weil der Kläger auch weiterhin als Straßenbahnfahrer arbeitsunfähig war. Dabei wurde die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten. Die Arbeitgeberin zahlte an den Kläger eine Abfindung von 30.000 Euro brutto und zusätzlich noch die Abgeltung für 50 Urlaubstage. 

Dienstaufsichtsbeschwerde  kein Kündigungsgrund

In der mündlichen Verhandlung machte das LAG deutlich, dass der Arbeitnehmer einen berechtigten Anlass hatte, sich über seine Vorgesetzten zu beschweren, nachdem der ihm unstreitig zustehende Betrag für die Mehrarbeit von 200 Euro über längere Zeit nicht ausgezahlt worden war.

Hierzu durfte er den Weg der internen Dienstaufsichtsbeschwerde an den Vorstand wählen. Der Arbeitnehmer war nicht gehalten, wegen der verspäteten Zahlung Klage zu erheben. Damit konnte der Arbeitgeber die Kündigung nicht begründen.

Untreue-Vorwurf ist kein Kündigungsgrund

Der Arbeitnehmer hatte den Vorgesetzen bezichtigt, »Untreue« zu begehen. In diesem Vorwurf sahen die Richter keinen Kündigungsgrund. Ein Arbeitnehmer darf einen Vorgesetzten nicht wider besseres Wissen einer Straftat bezichtigen. Aber hier sei aus der Beschwerde eindeutig erkennbar, dass der Kläger den Begriff »Untreue« nur wertend gebraucht habe, um seiner Unzufriedenheit wegen der verzögerten Zahlung Ausdruck zu geben. Nur diese Verzögerung habe er für den Arbeitgeber erkennbar, wenn auch rechtlich unzutreffend - wertend als »Untreue« bezeichnet.

Angesichts des berechtigten Anlasses der Beschwerde liege zwar deutliche Kritik vor, diese stelle aber keinen Kündigungsgrund dar. Mit dem Hinweis auf den Tod des anderen Mitarbeiters habe der Kläger alleine und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine zeitnahe Entscheidung auch ohne diesen möglich sein müsse.

Es fehlt sowohl für die fristlose als auch für die ordentliche Kündigung an einem Kündigungsgrund.  Mit diesen Erwägungen hat das LAG die Arbeitgeberin überzeugt, sich auf den Vergleich einzulassen.

Praxistipps       

Überstunden nicht zu spät einfordern

Bei dem Anspruch auf Überstundenauszahlung ging es um mehr als zwei Jahre alte Überstunden. Sinnvoll wäre gewesen, alle im laufenden Arbeitsverhältnis bestehenden Ansprüche gleich einzufordern, damit zeitnah für alle Beteiligten Klarheit über Ansprüche herrscht.

Arbeitnehmer müssen beachten, dass für die Bezahlung von Überstunden oft kurze tarifliche oder arbeitsvertragliche Ausschlussfristen gelten. Diese führen oft dazu, dass man länger zurückliegende Ansprüche nicht mehr geltend machen kann. Zudem muss man die noch die »normale« gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren im Blick behalten.

Der Betriebsrat kann darauf hinwirken, dass der Arbeitgeber Regelungen einführt, wann Mehrarbeit anfällt und wie und wann Überstunden auszubezahlen sind.

Vermittlung durch Betriebsrat und SBV

Auch wenn Arbeitnehmer längerfristig erkrankt sind, können sie sich an den Betriebsrat und die SBV wenden. Beide Arbeitnehmervertretungen können erkrankten Mitarbeitern ihre Hilfe auch aktiv von sich aus anbieten.

Auch in diesem Verfahren hätte der Arbeitnehmer von seinem gesetzlichen Beschwerderecht Gebrauch machen und den Betriebsrat als Vermittler hinzuziehen können, damit der Konflikt nicht eskaliert (§ 84 BetrVG).

Als schwerbehinderter Mensch hätte er sich auch an die Schwerbehindertenvertretung (SBV) wenden können, die für alle Belange und auch für die Beschwerden schwerbehinderter Beschäftigter zuständig ist (§ 178 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX).

Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

LAG Düsseldorf (04.02.2020)
Aktenzeichen 8 Sa 483/19
Sie erhalten diese Entscheidungsbesprechung als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 4.3.2020.
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