Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Beweiswert ist nicht so leicht zu erschüttern
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Das war der Fall
Die Arbeitnehmerin war seit dem 1. Januar 2021 bei der Arbeitgeberin als Controllerin beschäftigt. Sie leidet bereits seit mehreren Jahren an einer psychischen Belastungsstörung. Die Arbeitgeberin wollte die Arbeitnehmerin nun künftig als Sachbearbeiterin einsetzen und teilte ihr das in einem Personalgespräch mit. Das löste bei der Arbeitnehmerin erneut psychische Probleme aus. Sie nahm ihre Sachen aus der Büroküche mit und gab ihr Diensthandy ab. Gegenüber den Kollegen äußerte sie, sich krankschreiben lassen zu wollen.
Am Tag darauf kündigte die Arbeitnehmerin und meldete sich unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank. Es folgte eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie ein kurzer Erholungsurlaub. Anschließend war sie für den restlichen Kündigungszeitraum in stationärer Behandlung. Die Arbeitgeberin verweigerte für die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit die Entgeltfortzahlung. Das Arbeitsgericht gab der Arbeitnehmerin auf ihre Zahlungsklage hin Recht. Der Arbeitgeber ging hiergegen in Berufung.
Das sagt das Gericht
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat das Urteil des Arbeitsgerichts bestätigt. Die Arbeitgeberin muss für die Krankheitszeiträume Entgeltfortzahlung leisten.
Keine Erschütterung des Beweiswerts
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Laut Gericht ist es der Arbeitgeberin nicht gelungen diesen Beweiswert zu erschüttern. Grundsätzlich könnte zwar eine Ankündigung der Krankschreibung, die Mitnahme persönlicher Gegenstände oder die Abgabe des Diensthandys den Anschein einer geplanten Krankschreibung und damit Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit wecken. Nicht jede Ungereimtheit bei der Krankmeldung führt aber gleich zur Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Kann der Arbeitnehmer die Umstände seiner Arbeitsunfähigkeit und seine Erkrankung plausibel darlegen, erschüttern bloße mehrdeutige Verhaltensweisen des Arbeitnehmers den Beweiswert nicht. Das gilt insbesondere bei einer bereits seit längerem bestehenden Grunderkrankung.
Keine Übertragung der BAG-Rechtsprechung
Das Bundesarbeitsgericht hat 2021 entschieden, dass eine Krankschreibung nach einer Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer für den gesamten Zeitraum der Kündigungsfrist den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann (vgl. BAG 8.9.2021 - 5 AZR 149/21). Das gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich für die gesamte restliche Zeit nach der Kündigung krankgeschrieben ist. Bei einer Unterbrechung, zum Beispiel, weil der Arbeitnehmer für einen Tag auf der Arbeit erscheint oder Urlaub nimmt, kann die Entscheidung nicht übertragen werden.
Praxishinweis
Gelingt es dem Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, liegt es an dem Arbeitnehmer, seine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Das kann er zum Beispiel durch Entbindung des Arztes von seiner Schweigepflicht tun.
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Quelle
Aktenzeichen 6 Sa 682/22