BAG: Wann der Betriebsrat gegen Überstunden vorgehen kann

Verhält der Arbeitgeber sich mitbestimmungswidrig, kann der Betriebsrat nach § 23 BetrVG Unterlassung verlangen. Doch wann der Arbeitgeber Überstunden mitbestimmungswidrig duldet, ist häufig unklar.
Das war der Fall
Ein Betrieb, der logistische Dienstleistungen erbringt, lässt rund um die Uhr in Schicht arbeiten. Die Arbeitszeit beträgt acht Stunden pro Tag. Zwischen März und Mai 2017 wies das digitale Zeiterfassungssystem wiederholt für zwei Arbeitnehmer mehr als acht Stunden aus. Der Betriebsrat beanstandete diese Tatsache als Überstunden und forderte den Arbeitgeber auf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Arbeitgeber entgegnete, es sei bei der Erfassung der Arbeitszeit zu einer Panne gekommen: versehentlich seien die beiden Arbeitnehmer einem falschen Arbeitszeitmodell (Gleitzeit – statt Schichtmodell) zugeordnet worden.
Im Oktober und Dezember 2017 fanden Betriebsversammlungen statt; an beiden Tagen arbeitete ein als Teamleader tätiger Arbeitnehmer im Bereich Outbound jeweils länger als acht Stunden. Der Betriebsrat verlangt nun Unterlassung der mitbestimmungswidrig geduldeten Überstunden. Die Arbeitgeberin habe wiederholt die Ableistung nicht mitbestimmter Überstunden geduldet.
Das sagt das Gericht
Das Gericht verweigert dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch nach § 23 BetrVG. Es sieht kein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.
Zwar sind Überstunden mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Das gilt für die Anordnung genauso wie für die Duldung von Überstunden. Ein Dulden von Überstunden ist durch Unterlassen von gebotenen Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers gekennzeichnet.
Hiervor kann ausgegangen werden, wenn
- entweder (1. Fall): der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitraum hinnimmt
- oder (2. Fall): wenn Monat für Monat eine Vielzahl von Arbeitnehmern immer wieder in erheblichem Maße Überarbeit leistet und der Arbeitgeber diese Stunden "entgegennimmt und bezahlt"
- oder (3. Fall): es die betrieblich-organisatorischen Gründe bedingen, dass Arbeitnehmer häufig über das mitbestimmt festgelegte Schichtende hinaus arbeiten und diese Mehrarbeit "angenommen und vergütet" wird.
Der Fall bietet keinerlei Anhaltspunkte, dass der Arbeitgeber hier die Überstunden geduldet hat. Der Annahme einer Duldung steht insbesondere entgegen, dass es zu einer technischen Verwechslung der für die beiden Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitszeiterfassung gekommen ist (Gleit- statt Schichtzeit). Die Arbeitgeberin hat zudem – nach der Beanstandung des Betriebsrats - die Arbeitszeiterfassung korrigiert und beide Arbeitnehmer auf das für sie geltende Schichtsystem hingewiesen.
In dem weiteren Fall sieht das Gericht ebenfalls keine Duldung von Überstunden. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass es bei der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit Betriebsversammlungen regelhaft oder systematisch oder auch nur häufiger zu Mehr- oder Überarbeit von Arbeitnehmern kommt.
Das muss der Betriebsrat beachten
Wenn der Arbeitgeber Überstunden leisten lässt, ohne dafür die explizite Zustimmung des Betriebsrats zu haben und ohne Erlaubnis der Einigungsstelle, dann verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Das gilt auch dann, wenn Arbeitnehmer freiwillig Überstunden leisten.
Wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Überstunden verletzt, steht dem Betriebsrat ein sogenannter Unterlassungsanspruch zu. Diesen Unterlassungsanspruch kann der Betriebsrat mit Hilfe des Arbeitsgerichts durchsetzen. Allerdings sieht der Fall (wie hier eben) anders aus, wenn der Arbeitgeber eben weder Überstunden anordnet noch duldet und damit nicht leisten lässt, sondern es sich um ein Versehen handelt.
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Quelle
Aktenzeichen 1 ABR 18/19