Betriebsversammlung

Betriebsversammlung und Corona: Betriebsrat hat Beurteilungsspielraum

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Quelle: © Franz Pfluegl / Foto Dollar Club

Bei der Frage, ob eine Betriebsversammlung zu Corona-Zeiten als virtuelle oder Präsenzveranstaltung abgehalten werden soll, steht dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Das hat das LAG Hamm in einer aktuellen Eil-Entscheidung auf Antrag eines Betriebsrats entschieden.

Das war der Fall

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Kostentragung einer außerhalb der betrieblichen Räumlichkeiten abzuhaltenden Betriebsversammlung in Zeiten der Corona-Pandemie.

Der Antragssteller ist der bei dem Träger einer Spezialklinik gebildete Betriebsrat, es werden ca. 360 wahlberechtigte Mitarbeitende beschäftigt. Nachdem im 1. Halbjahr 2020 wegen der Corona-Pandemie keine Betriebsversammlungen stattgefunden hatten, beantragte der Betriebsrat bei dem Arbeitgeber für das 3. Quartal 2020 die Kostenübernahme für die Anmietung einer nahegelegenen Schützenhalle, weil ausreichende interne Räumlichkeiten, die nach Maßgabe der Coronaschutz-VO NRW die Teilnahme einer Mehrzahl der Mitarbeitenden ermöglicht hätte, nicht zur Verfügung standen.

Das zuständige Gesundheitsamt erhob gegen das dazu von dem Betriebsrat vorgelegte Hygienekonzept bei der von ihm erwarteten Teilnehmerzahl von bis zu 170 Mitarbeitenden keine Bedenken. Der Arbeitgeber verweigerte dennoch die Kostenübernahme. Er verwies auf das nach wie vor hohe Infektions- und Gefährdungsrisiko für den Klinikbetrieb und bestand auf einem audiovisuellen Durchführungsweg. Die Arbeitgeber erklärte sich bereit, nicht entsprechend ausgestattetes Personal mit Smartphones zur Nutzung der Videoplattformen »MS Teams« oder »Zoom« zu versorgen. Ein weiterführendes Konzept, wie die Veranstaltung mit umfassender Teilnahmemöglichkeit hygienisch, räumlich und technisch unter Wahrung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit durchzuführen sei, legte der Arbeitgeber trotz Aufforderung des Betriebsrats nicht vor.

Das sagt das Gericht

Der bei dem Arbeitsgericht angebrachte Eilantrag des Betriebsrats auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe der zu erwartenden auswärtigen Veranstaltungskosten wurde zurückgewiesen. Im Ausgangspunkt konzedierte das Arbeitsgericht zwar, dass der Arbeitgeber grundsätzlich erforderliche Räumlichkeiten bereit zu stellen verpflichtet sei und gegebenenfalls auch die Kosten einer externen Anmietung zu tragen habe. Mit § 129 Abs. 3 BetrVG sei aber ein Sonderweg eröffnet worden, wonach eine Betriebsversammlung mittels einer audiovisuellen Einrichtung durchgeführt werden könne, wenn sichergestellt sei, dass nur berechtigte Personen Kenntnis vom Inhalt der Versammlung nehmen könnten. Die virtuelle Betriebsversammlung sei dann der Präsenzveranstaltung gleichwertig, so dass der Betriebsrat hinsichtlich des Veranstaltungsformats ein Auswahlermessen (»kann«) habe, das hier zugunsten der virtuellen Form auszuüben sei.

Denn der Betriebsrat habe sich nicht auf sein Hygienekonzept beschränken dürfen, weil ein gleichwohl realisiertes Infektionsrisiko zu einer erheblichen Einschränkung des Klinikbetriebs hätte führen können. Der Betriebsrat hätte stattdessen eine Entscheidung zugunsten einer Videokonferenz treffen müssen. Der Arbeitgeber habe sogar angeboten, die nicht mit Smartphones ausgestatteten Teile des Personals zur technischen Nutzung der Videoplattformen auszustatten. Das Präsenzkonzept des Betriebsrats sei des Weiteren ungenügend, weil nicht einmal für die Hälfte der Belegschaft eine Teilnahmemöglichkeit bestehen würde.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats hob das LAG die erstinstanzliche Entscheidung auf und erkannte nach als sachdienlich angesehener Antragsänderung, dass ein Verfügungsanspruch gegen den Arbeitgeber zur Übernahme der Kosten für bis zu drei externe Teilbetriebsversammlungen im 4. Quartal 2020 bestehe. Auch der Verfügungsgrund bestehe, weil ohne die Anordnung einer einstweiligen Verfügung ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.

Das LAG folgte dem Arbeitsgericht bereits im Ausgangspunkt nicht in der Annahme, dass die audiovisuelle Veranstaltung der Präsenzveranstaltung gleichwertig sei. Charakteristisch für die Betriebsversammlung als Forum des Austausches und der Aussprache zwischen Betriebsrat und Belegschaft sei gerade das örtliche Zusammenkommen.

Anders als das Arbeitsgericht stellt das LAG heraus, dass dem Betriebsrat nach dem – ohnehin nur zeitlich beschränkt geltenden – § 129 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ein Beurteilungsspielraum (»kann«) eingeräumt sei, den er unter Beachtung des Ausgangsleitbildes einer Präsenzveranstaltung sachgerecht auszufüllen habe. Mit seiner getroffenen Entscheidung, allen Berechtigten in bis zu drei Teilversammlungen eine Teilnahme zu ermöglichen, bewege sich der Betriebsrat mit dem behördlich nicht beanstandeten Hygienekonzept innerhalb des ihm zugestandenen Beurteilungsspielraums.

Ergänzend wies  das LAG noch darauf hin, dass für den Arbeitgeber in analoger Anwendung des § 40 Abs. 2 BetrVG die Verpflichtung bestünde, die erforderlichen Sachmittel und Räumlichkeiten für eine nichtöffentliche Betriebsversammlung bereitzustellen. Der bloße Verweis des Arbeitgebers auf technische Möglichkeiten wie »MS Teams« oder »Zoom« reiche nicht aus.

Einschätzung und Folgerung für die Praxis

Dem LAG ist in Abgrenzung zur Auffassung des Arbeitsgerichts darin zu folgen, dass die Übergangsregel des § 129 Abs. 3 BetrVG für seinen Anwendungsfall keine Gleichwertigkeit der beiden Veranstaltungsformen oder gar eine  Präferenz zugunsten einer virtuellen Betriebsversammlung statuiert. Der Gesetzgeber ging bei der Beratung und Verabschiedung des § 129 BetrVG ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 19/18753, S. 28) nicht davon aus, dass der Gesundheitsschutz höherwertig sei als die Abhaltung von  Präsenzbetriebsversammlungen (so aber wohl beiläufig LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.08.2020 – 12 TaBVGa 1015/20, Rn. 38). Vielmehr hat der Gesetzgeber der Gefahr vorbeugen wollen, dass absehbar anlassbezogen keine Betriebsversammlungen mehr stattfinden können. Nach der gesetzgeberischen Intention sollen das Recht und die Verpflichtung des Betriebsrats, regelmäßige Versammlungen durchzuführen, gerade erhalten bleiben. Sie sollen nur dann in virtueller Form abzuhalten sein, wenn der der Infektionsschutz es gebietet. Würde man daraus aber mit dem Arbeitsgericht schlussfolgern, dass das Auswahlermessen des Betriebsrats trotz eines validen Hygienekonzepts wegen der Gefahr für die Gesundheit der Beschäftigten und für den Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers in Pandemiezeiten nur virtuelle Versammlungen zuließe, wäre der dem § 42 Abs. 1 BetrVG innewohnende Gedanke der örtlichen Zusammenkunft für die Geltungsdauer des § 129 Abs. 3 BetrVG praktisch suspendiert.

Das vom Arbeitsgericht propagierte Auswahlermessen würde sich dann tatsächlich auf eine gebundene Entscheidung reduzieren. Richtigerweise löst das LAG Hamm den Konflikt auf andere Art und Weise, indem es dem Betriebsrat, ausgehend vom gesetzlichen Leitbild der Präsenzveranstaltung, einen Beurteilungsspielraum zubilligt (vgl. auch Klumpp/Holler, BB 2020, 1268, 1270). Innerhalb dessen obliegt es dem Betriebsrat, unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zum Infektionsschutz eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Aus dieser Warte beanstandet es das LAG nicht, dass der Betriebsrat sich unter verpflichtender Einhaltung der Hygieneregeln für die Präsenzveranstaltungen entschieden hat.

Das LAG unterlegt diese Erkenntnis noch mit einem weiteren Argument. Nach seiner Auffassung wäre der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, nicht nur allgemein auf eine Nutzbarkeit der Internet-Videoplattformen hinzuweisen. Aus § 40 Abs. 2 BetrVG (analog) folge für den Arbeitgeber die Pflicht, im vorliegenden Zusammenhang Räumlichkeiten, sämtliche Sachmittel und die Informations- und Kommunikationstechnik bereitzustellen und gleichzeitig aufzuweisen, wie die audiovisuelle Betriebsversammlung unter Beachtung der sonstigen Vorgaben (insbesondere unter dem Gebot der Nichtöffentlichkeit) abzulaufen hätte. Dieser Beibringungspflicht ist der Arbeitgeber hier nicht nachgekommen.

Ausblick

Der Gesetzgeber plant, die befristete Lösung des § 129 BetrVG über den 31.12.2020 hinaus bis zum 30.6.2021 zu verlängern. Solange das Corona-bedingte Infektionsrisiko anhält, stellt sich für die Betriebsräte auch weiterhin die Frage, unter welchen Umständen Betriebsversammlungen abzuhalten sind. Das gesetzlich zwingende Erfordernis nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur quartalsweisen Durchführung kann dabei denktheoretisch nur ausnahmsweise bei drohender Gefahr für Leben und Gesundheit als höherwertige Schutzgüter zu einer Suspendierung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten führen.

Solange aber die Betriebsräte ein belastbares Schutzkonzept zur Durchführung von Betriebsversammlungen in inner- oder ausbetrieblichen Räumlichkeiten anbieten, ist dem unter Berücksichtigung der  Erwägungen des LAG Hamm stets der Vorrang einzuräumen. Während sich für Betriebsratssitzungen auch nach dem 31.12.2020 durchaus Möglichkeiten rechtskonformer Gremiumsarbeit in virtueller Form aufzeigen (lesenswert: M. Schulze in Dahl/Göpfert/Helm, Arbeitsrechtlicher Umgang mit Pandemien, S. 201 ff.), dürfte dies für Betriebsversammlungen aus den dargebrachten Gründen kaum möglich sein. Betriebsratsmitglieder stecken aufgrund regelmäßiger Befassung mit den Themen sehr viel stärker im Stoff und können effektive Arbeit auch eher virtuell leisten. Die zahlenmäßig deutlich größere Belegschaft tritt hingegen bestenfalls viermal im Jahr zur Betriebsversammlung an und erwartet einen Austausch  mit dem Betriebsrat. Hierzu ist es erforderlich, dass alle Teilnahmeberechtigten an einem Ort zusammen kommen und diskutieren können, dies bei allseitiger Sicht- und Hörbarkeit. Eine virtuelle Durchführung leistet dies nicht.

Autor:

Rechtsanwalt Gero Riekenbrauck, Leifeld Niechoj Scholten LNS – Rechtsanwälte und Fachanwälte für Arbeitsrecht PartG, Bochum: www.anwaelte-LNS.de

Quelle

LAG Hamm (05.10.2020)
Aktenzeichen 13 TaBVGa 26/20
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