Betriebsvereinbarung darf nicht von Zustimmung der Belegschaft abhängen

Darum geht es
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen, das Logistikdienstleistungen für die Elektronikindustrie erbringt. Sie ist nicht tarifgebunden. 2007 schloss die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zu variablen Vergütungsbestandteilen, die auf Anwesenheit und Leistung abstellen sollten. Die Vereinbarung sollte für die im Lager beschäftigten Arbeitnehmer gelten.
Die Betriebsvereinbarung sollte unter der Bedingung in Kraft treten, dass ihr »80 % der abgegebenen Stimmen« der in ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer schriftlich zustimmen. Die Frist war von der Arbeitgeberin gesetzt. Für den Fall eines Unterschreitens des Zustimmungsquorums konnte die Arbeitgeberin "dies" dennoch für ausreichend erklären.
Die Betriebsvereinbarung trat in Kraft. Ein später gewählter Betriebsrat wollte sie für unwirksam erklären lassen, nachdem mehrere Arbeitnehmer gegen die Kürzung ihrer »Anwesenheitsprämien« geklagt hatten. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) München hatten diesen Antrag abgewiesen (LAG München, Beschluss v. 15.06.2018 – 3 TaBV 6/18).
Das sagt das BAG
Vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte der Betriebsrat Erfolg. Das BAG erklärte die Betriebsvereinbarung für unwirksam. Denn die rechtliche Verbindlichkeit einer Betriebsvereinbarung könne nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig gemacht werden. Eine Betriebsvereinbarung gilt unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 BetrVG).
Eine Vereinbarung, die ihre Wirksamkeit von einer Zustimmung der Belegschaft abhängig macht, widerspreche den Strukturprinzipien der Betriebsverfassung. Denn danach ist der gewählte Betriebsrat Repräsentant der Belegschaft und als als Organ der Betriebsverfassung nicht an an Weisungen der Arbeitnehmer oder ihre Zustimmung gebunden.
Da eine Betriebsvereinbarung unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags das Arbeitsverhältnis gestaltet und auch für später eintretende Arbeitnehmer gilt, kann sie nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft oder von einer einzelvertraglichen Zustimmung der Arbeitnehmer abhängen.
Hinweis für die Praxis
Auch wenn die Zustimmung der Belegschaft zur Betriebsratsarbeit natürlich wichtig ist, muss der Betriebsrat seine Betriebsvereinbarungen "auf eigene Verantwortung" schließen. Dann entsteht auch kein Druck auf die Mitarbeiter, einer möglicherweise nachteiligen Änderung ihrer eigenen Arbeitsverträge zuzustimmen. Denn gerade in einem nicht tarifgebundenen Betrieb ist es wichtig, dass der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte, insbesondere bei der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) so ausüben kann, dass die Beschäftigten nicht übervorteilt werden.
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Quelle
Aktenzeichen 1 ABR 4/19
BAG, Pressemitteilung vom 29.7.2020