Rente

Das sind die Rechentricks vom »Rentenpapst«

03. Mai 2019 Rente
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Bis 2025 gilt bei der Rente eine doppelte Haltelinie: Der Beitrag darf nicht über 20 Prozent steigen und das Niveau nicht unter 48 Prozent sinken. Wie es danach weitergehen kann, soll eine Rentenkommission vorschlagen. Mit dabei ist auch Prof. Axel Börsch-Supan, der auch als »Rentenpapst« bezeichnet wird. Mehr zu den Tricks lesen Sie in der »Sozialen Sicherheit«.

Axel Börsch-Supan, Direktor des Munich Center for Economics of Aging (MEA), wird in der Öffentlichkeit immer wieder als »Rentenpapst«, »führender deutscher Rentenexperte« oder »renommierter Rentenökonom« gefeiert. Schon kurz bevor sich die zehnköpfige Rentenkommission im Frühjahr 2018 konstituierte, lancierte er seine rentenpolitischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit: Eine Weiterführung der doppelten Haltelinie auch über das Jahr 2025 hinaus sei »unbezahlbar«, so der Wissenschaftler.

Tückischer Indikator »Mehrkosten«

In einer 13-seitigen Stellungnahme zum Rentenpaket der Bundesregierung rechnete Börsch-Supan aus, was die Beibehaltung der Haltelinie den Steuerzahler kosten würde, wenn er alleine dafür aufkommen müsste. Dabei rechnet er die Kosten in eine Mehrwertsteuererhöhung um: »Die Mehrbelastung liegt im Jahr 2030 bei etwa 3 Prozentpunkten, steigt dann sehr schnell auf das Doppelte an (bis zum Jahr 2036), langfristig auf über 8 Prozentpunkte«, so der MEA-Wissenschaftler in seiner Stellungnahme.

Der gewählte Indikator »Mehrkosten« sei »tückisch«, kritisiert Gerd Bosbach, Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz. Denn »jede Mehrbelastung beginnt mit 0, weist also schnell deutliche Steigerungen auf« – vor allem, wenn man sie als Verhältnis darstelle (hier: »steigt sehr schnell auf das Doppelte«). Außerdem benenne Börsch-Supan nicht, auf welche Basis die Erhöhung trifft. Hier wäre das die Basis von 19 Prozentpunkten bei der Mehrwertsteuer. Die von Börsch-Supan erwähnte Verdoppelung der Belastung bis 2036 mache so gerade einmal eine jährliche Steigerung von 0,35 Prozent aus, erklärt Bosbach. »Nicht schön, aber absolut nicht so dramatisch.«

Auch bei der Darstellung, wie hoch der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen müsste, um das jetzige Rentenniveau von 48 Prozent halten zu können, werde wieder mit dem eingeschränkten Blick auf die Erhöhung gearbeitet. Eine Abbildung dazu von Börsch-Supan beginnt erst bei dem Beitragssatz von 18 Prozent, so dass jede Steigerung grafisch dramatisch wirkt. Im Jahr 2035 läge der Beitragssatz dann bei 24,6 Prozent, langfristig würde er über 26 Prozent ansteigen, hat der MEA-Direktor errechnet. Er bezeichnet dies als »dramatischen Anstieg« und suggeriert damit wieder die Unbezahlbarkeit.

Produktivitätsfortschritt zu wenig berücksichtigt

Doch schon derzeit sollen die Arbeitnehmer neben den Abgaben von 9,3 Prozent für die gesetzliche Rentenversicherung noch vier Prozent ihres Gehalts in private (Riester-)Renten einzahlen. Macht zusammen also 13,3 Prozent. »Würden die Arbeitgeber sich an der gesamten Finanzierung der Renten – gesetzlich wie privat – paritätisch beteiligen, wären heute schon Rentenabgaben von (2 x 13,3) 26,6 % zu finanzieren«, gibt Bosbach zu bedenken. Außerdem werde – auch von Börsch-Supan – viel zu wenig berücksichtigt, dass durch den Produktivitätsfortschritt, der bei den Löhnen ausbezahlt wird, sich trotz höherem Rentenbetrag für die Arbeitnehmer netto ein höheres Einkommen ergibt.

Bosbach liefert detaillierte Berechnungen dazu, wie die Produktivität in den Jahren 2020 bis 2040 steigen muss, um den prognostizierten Rückgang der Erwerbsfähigen auszugleichen. 2032, dem Jahr mit der gravierendsten demografischen Veränderung, müsste ein Betrieb mit 112 Beschäftigten, auf einen einzigen Mitarbeitenden verzichten, um den Wandel zu bewältigen. Die wegen der Alterung der Gesellschaft nötige Produktivitätssteigerung der anderen 111 wäre mit 0,85 Prozent immer noch relativ klein und zu bewältigen, schreibt Bosbach.

Irreführung mit dem Altersquotienten

Börsch-Supan übertreibe auch die Auswirkungen der Demografie. So gehe er irreführend mit dem Altersquotienten um, wirft Bosbach dem MEA-Direktor vor. Dieser Quotient bildet das Verhältnis der Personen im Rentenalter zu den Menschen im erwerbsfähigen Alter ab. Der Wissenschaftler vom Münchener Zentrum für die Ökonomie des Alterns definiert den Quotienten jedoch als »Anzahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und älter geteilt durch Anzahl der Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren« – für das Jahr 2005 genauso wie für 2060.

Damit würden die 65- und 66-Jährigen nach der Anhebung der Regelaltersgrenze fehlerhaft nicht den Versorgern zugerechnet, sondern den zu versorgenden Älteren, kritisiert Bosbach. Börsch-Supan ordne damit 2025 insgesamt 1,4 Millionen Personen und 2035 sogar knapp 2,3 Millionen Menschen der falschen Gruppe zu. Außerdem zeige ein Blick in die Vergangenheit: »Wir haben schon stärkere Alterungs-Anstiege ohne große Probleme bewältigt.«

Umdefiniertes Rentenniveau

Einen »vorprogrammierten Verständnis-Irrtum« sieht Bosbach in der »versteckten« Neudefinition den Rentenniveaus von Börsch-Supan. Dieser will zwar – wie derzeit von der Koalition bis 2025 festgelegt – das Rentenniveau weiterhin bei 48 Prozent stabil halten. Er definiert aber den Begriff einfach um. Derzeit wird das Niveau mit Hilfe eines (fiktiven) Standardrentners berechnet, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient und entsprechende Rentenbeiträge in die Rentenkasse eingezahlt hat. Börsch-Supan will mit der steigenden Regel-Altersgrenze für die Rente auch die Beitragsjahre zur Standardrente anheben. Sein – neu definiertes Rentenniveau – bliebe so zwar bei 48 Prozent stabil. Das eigentliche jetzige Rentenniveau würde so aber derzeit nur noch 47,3 Prozent betragen und im Jahr 2060 gerade noch 43,6 Prozent. »So kann man Senkungen der Rente auch verstecken und gleichzeitig den Arbeitnehmern den eigenen Vorschlag als gerecht verkaufen«, kritisiert Gerd Bosbach in seiner ausführlichen Analyse in der »Sozialen Sicherheit« 3/2019. Bestellen Sie jetzt ein gratis Probeabo und erhalten sofort online Zugriff auf diese und alle weiteren Ausgaben der »Sozialen Sicherheit«.

Die »Soziale Sicherheit«, Zeitschrift für Arbeit und Soziales, wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegeben und erscheint im Bund-Verlag. Mehr zur Zeitschrift und den Bestellmöglichkeiten finden Sie hier.

© bund-verlag.de (HN)

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