Interessenausgleich - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Teil-Namensliste als Basis für Kündigungen

28. Juli 2015

Für eine Namensliste in einem Interessenausgleich gelten strenge Anforderungen, weil sie die Rechte der Gekündigten einschränkt. Das niedersächsische LAG hat jetzt erstmals eine Namensliste zugelassen, die nur einen Teil der Belegschaft abdeckt – eine kontroverse Entscheidung.

Der 1961 geborene Kläger ist seit 1978 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Er ist gelernter Energieanlagenelektroniker und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 Prozent. Seit 2012 arbeitet er als Sachbearbeiter im Bereich »elektronische Instandhaltung«.

Seine Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb ca. 1000 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat. Am 18.07.2013 schloss sie mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zum Abbau von rund 170 Arbeitsplätzen, insbesondere in der Produktion.

Interessenausgleich listet Gekündigte nur zum Teil auf

Der Interessenausgleich enthielt in Anlage 1 eine Liste mit Vergleichsgruppen, unter anderem die Gruppen »elektrische Instandhaltung« und »Einzelposition«. Der Kläger wurde wegen seiner Stellenbeschreibung als einziger Mitarbeiter in die Gruppe »Einzelposition« eingruppiert.

Anlage 2 des Interessenausgleichs bestand in einer von den Betriebspartnern und der tariflichen Schlichtungsstelle abgezeichneten Namensliste von 129 Mitarbeitern in der Produktion. Der Interessenausgleich sah weiter den Wegfall von 12 Stellen im Bereich »Zentralfunktionen« vor.

Dazu heißt es im Interessenausgleich wörtlich: »In dieser Namensliste sind Entlassungen die den Bereich NESD Zentralfunktion betreffen (s. 3.3), nicht enthalten. Diese Entlassungen (12) sollen soweit als möglich über Auflösungsvereinbarungen erfolgen. Insoweit soll die Namensliste auch künftig nicht ergänzt werden«.

Kündigung wurde in erster Instanz aufgehoben

Mit Schreiben vom 14.01.2014 sprach die Arbeitgeberin nach Anhörung des Betriebsrats und mit Zustimmung des Integrationsamts eine ordentliche Kündigung zum 31.08.2014 aus. Von den namentlich in der Liste aufgeführten Mitarbeitern wurden elf nicht gekündigt. Alle nicht entlassenen Arbeitnehmer entstammen anderen Vergleichsgruppen.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und beantragte hilfsweise, die Arbeitgeberin zur Wiedereinstellung zu verpflichten. die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft gewesen. Zudem seien in seinem Bereich »Zentralfunktionen« ausdrücklich keine betriebsbedingten Kündigungen vorgesehen.

Das Arbeitsgericht Hameln gab der Kündigungsschutzklage statt und verurteilte die Arbeitgeberin, den Kläger weiter zu beschäftigen. Das ArbG begründete sein Urteil damit, die Namensliste im Interessenausgleich, die sich nur auf einen Teil der Belegschaft bezogen habe, löse nicht die Vermutung nach § 1 Abs. 5 KSchG aus, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt gewesen sei. Dagegen legte die Arbeitgeberin Berufung ein.

Landesarbeitsgericht sieht besonderen Ausnahmefall

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wies in zweiter Instanz die Kündigungsschutzklage ab. Die Kündigung zum 31.08.2014 sei unter jedem Gesichtspunkt wirksam.

Die angegriffene Liste erfülle die Voraussetzungen einer Namensliste für betriebsbedingte Kündigungen im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG, wie sie die Betriebspartner im Rahmen eines Interessenausgleichs vereinbaren können.

Die Frage, ob auch eine Teil-Namensliste, die nicht die Auswahl von Gekündigten aus der gesamte Belegschaft abdeckt, die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG auslösen kann, sei vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden worden.

Die 5. Kammer des LAG Niedersachsen bejaht diese Frage. Zwar sei eine Teil-Namensliste nicht generell eine taugliche Grundlage für § 1 Abs. 5 KSchG, wohl allerdings in einer »eng umgrenzten Fallkonstellation«:

Deutliche Abgrenzung möglich

Eine Teil-Namensliste genüge den Anforderungen, wenn der Bereich, für den keine Namensliste vereinbart wurde, so deutlich abgrenzbar sei, dass keine Möglichkeit bestehe, die Sozialauswahl des einen Bereichs könne die Sozialauswahl des anderen Bereichs in irgendeiner Form beeinflussen.

Zudem müsse der Bereich des Betriebs, den die Namensliste abdeckt, wesentlich größer sein als der nicht abgedeckte Bereich, so dass das Interesse der Betriebspartner, Rechtsklarheit zu schaffen, »gegenüber dem nicht durch Namensliste hervorgehobenen Bereich hervorgehoben« werde. 

Alle diese Voraussetzungen seien erfüllt, daher sei die Kündigung wirksam.
Mit Rücksicht auf die bisher offene Rechtslage hat das LAG allerdings die Revision zum BAG ausdrücklich zugelassen.


Quelle:

LAG Niedersachsen, Urteil vom 7.05.2015
Aktenzeichen 5 Sa 1321/14
© bund-verlag.de (ck)

Hinweis der Redaktion

Die Revision ist eingelegt und unter dem Aktenzeichen 2 AZR 306/15 beim BAG anhängig.

Folgen für die Praxis

it Anmerkungen von Matthias Bauer, ehemals DGB Rechtsschutz GmbH

Die aufgeworfene Frage klingt auf den ersten Blick eher nach einem juristischen Theorienstreit mit geringer Praxisbedeutung. Dabei geht es aber um nicht weniger als die – weitere – Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit betriebsbedingter Kündigungen und damit das Recht der Arbeitnehmerschaft sich gegen betriebsbedingte Kündigungen individuell weitestgehend wehren zu können.

Wenn der Gesetzgeber in § 1 Abs. 4 und 5 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) schon die Auswahlentscheidungen, die nach dem KSchG zwingend vorgesehen sind, der gerichtlichen Überprüfung entzieht und auf die Betriebsparteien delegiert, wie weit darf dann für die Gerichte der Restprüfungsmaßstab auf die »grobe Fehlerhaftigkeit« solcher betrieblichen Entscheidungen zu Gunsten von Praktikabilitätserwägungen noch weiter eingeengt werden?

Sollen die Betriebsparteien das Recht haben eine Vorabentscheidung über die Vergleichbarkeit von Tätigkeiten und damit der Gruppenbildung derart zu treffen, dass es den Gerichten z.B. nicht mehr möglich ist die abstrakten Tätigkeitsbeschreibungen einer Prüfung auf die realen Verhältnisse hin zu unterziehen?

Namensliste macht Kündigung schwer überprüfbar

Genau das geschieht bei einer Teil-Namensliste. Die Herausnahme der von einer Kündigung nicht betroffenen Arbeitnehmer aus einer Vergleichsgruppe hat für die Gerichte gem. § 1 Abs. 5 KSchG erst einmal die Richtigkeitsvermutung für sich.

Es handelt sich beim Kündigungsschutzprozess um eine Zivilrechtsklage. Findet der Arbeitnehmer keinen Anhaltspunkt für eine »offensichtliche Unrichtigkeit« der Teil-Namensliste, geht das mit ihm heim und der Betriebsrat als Mitverfasser der Namensliste wird ihm bei dieser Rechtskonstruktion kaum eine Hilfe sein.

Kündigung als letztes Mittel

Der grundlegende Gedanke des KSchG ist es, eine Kündigung nur als letztes Mittel zuzulassen, wenn alle Möglichkeiten für eine Weiterbeschäftigung ausgeschöpft sind. Diese Prämisse ist nur dann zu Gunsten höchstmöglicher individueller Gerechtigkeit umzusetzen, wenn alle realen Fakten sorgfältig ermittelt und gegeneinander abgewogen sind.

Die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe per Betriebsvereinbarung gefährdet dieses hehre Prinzip des deutschen Kündigungsrechts enorm.

Der Gesetzgeber glaubte den Betriebsparteien diese Richterrolle über ein wesentliches Element des Kündigungsrechts in diesen Fällen geben zu können. Von welcher Vorstellung ließ er sich leiten? Jedenfalls nicht von der Idee der Stärkung der individuellen Bürgerrechte, sondern eher von der der Beschleunigung der Verfahren und Entlastung der Gerichte und zwar um den Preis eines großen Vertrauensvorschusses für die Betriebsparteien.

Namensliste dient Beschleunigung von Kündigungen

Die Rolle des Arbeitgebers ist dabei die unmittelbarste. Er kümmert sich um seine Interessen. Der Arbeitnehmer hat sich für seine Interessenvertretung eines gewählten Gremiums zu bedienen. Zur Rolle des Betriebsrats gibt es im BetrVG nur indirekte Hinweise. Mit Blick auf § 74 BetrVG entsteht der Eindruck, der Gesetzgeber wollte den gewerkschaftsgelenkten maschinenstürmenden Betriebsrat der Kaiserzeit kurz nach Abschaffung der Bismarck’schen Sozialistengesetze verhindern, wenn er Teilnahme an Arbeitskämpfen und die politische Betätigung untersagt.

Es herrscht in Reglungsstreitigkeiten ausschließlich das Fürsorge- (§ 80 BetrVG) und Konsensprinzip, ggfls. über die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG). Dem Gesetzgeber stand offensichtlich der Betriebsrat als Kämpfer für Freiheit und Recht vor Augen, der nur mit Gesetzeskraft an der überbordenden Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmerschaft zu hindern ist. Ob das richtig war und noch ist, darf bezweifelt werden. Historische Fakten und gerichtliche Erfahrungen sprechen dagegen.

Teil-Namenslisten nicht im Interesse des Betriebsrats

Der Betriebsrat fühlt sich in der Regel auch den Interessen des Betriebes verpflichtet, soweit es um dessen Bestand und Perspektive geht. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. So ist aber jede Betriebsvereinbarung, gerade auch ein Interessenausgleich, ein Sozialplan oder die Namensliste, das Ergebnis einer betriebspolitischen Auseinandersetzung und eben nicht ausschließlich eine Rechtsentscheidung über konkurrierende Individualinteressen im Kündigungsrecht.

Von daher muss es dabei bleiben, dass eine Teil-Namensliste selbst dann nicht in Frage kommt, wenn ein Teil von Arbeitnehmern von der Vergleichsgruppe »abgrenzbar« ist. Das Gericht darf nicht auf eine oberflächliche Prüfung beschränkt werden, wenn es nicht die gesamte Systematik der Entscheidung kennt und werten darf. Die Kernfrage bei der Prüfung einer betriebsbedingten Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 KSchG immer noch, ob dringende betriebliche Erfordernisse bestehen, die der Weiterbeschäftigung gerade dieses Arbeitnehmers entgegenstehen.

Prüfpflicht des Gerichts muss erhalten bleiben

Diesen Kausalzusammenhang zu prüfen ist oberste Pflicht des Arbeitsrichters im Prozess und darf auch nicht zum geringsten Teil auf die Betriebsparteien verlagert werden, und sei es dadurch, dass ihnen ermöglicht wird Beschäftigte aus der Prüfung herauszunehmen.

Das vermindert die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit auch und gerade in Bezug auf den erwähnten notwendigen Kausalzusammenhang bei betriebsbedingten Kündigungen, weil die Herausnahme von Fakten eine richtige Gesamtwürdigung beeinträchtigen kann.

Im Einzelfall: Kläger langjährig im Unternehmen beschäftigt

Zuletzt ein möglicherweise erhellender Blick auf den Sachverhalt. Der 52-jährige schwerbehinderte Kläger war 31 Jahre beschäftigt. Sein Lehrberuf war Energieanlagenelektroniker, den er ausübte, bis er 2005 ins betriebliche Vorschlagswesen wechselte. 2009 übernahm er zusätzliche Arbeiten im Magazin. Im Jahre 2012 bestellte man ihn zum »Sachbearbeiter für elektronische Instandhaltung«, um ihn auf der Grundlage des Interessenausgleichs vom Juli 2013 zu kündigen. 

Grundlage der Kündigung war die Festlegung der Betriebsparteien, dass der Kläger eine eigene Vergleichsgruppe mit der Bezeichnung »Einzelposition, Personalnummer 00000« bilde. Dies mit einer Tätigkeit, die erst kurz vor Entstehen der Betriebsvereinbarung geschaffen wurde und ein paar Monate später der Betriebseinschränkung mittels Kündigung vom Januar 2014 zum Opfer fiel. Vier Arbeitnehmer in der elektronischen Instandhaltung wurden weiterbeschäftigt. 

Honni soit qui mal y pense! (französischer Wappenspruch des britischen Hosenbandordens. »Ein Schuft, wer Arges dabei denkt«)

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