Schichtarbeit - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Nachtdienstuntauglich bedeutet nicht arbeitsunfähig

16. Mai 2014
Nachtarbeit Feierabend Büro Bürohaus Nacht
Quelle: www.pixabay.com/de

Kann ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten mehr leisten, ist er deshalb nicht arbeitsunfähig erkrankt, sondern hat weiterhin Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung und Lohn, entschied das BAG im Falle einer Krankenschwester.

Der Fall
Krankenpflegerin kann wegen Medikamenten nachts nicht mehr arbeiten

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet.

Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung u.a. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.

Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung - mit Ausnahme von Nachtdiensten - ausdrücklich an. Bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld.

Die Entscheidung
Anspruch auf Beschäftigung und Vergütung besteht weiter

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen.

Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen.

Quelle
BAG, Urteil vom 09.04.2014
Aktenzeichen: 10 AZR 637/13
PM des BAG Nr. 16/14 vom 09.04.2014

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Wer in einem Arbeitsverhältnis steht, hat nicht nur einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Lohnzahlung, sondern auch darauf vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Wie die konkrete Beschäftigung aussieht, hat der Arbeitgeber nach § 106 GewO zu bestimmen.

Der hiesige Arbeitgeber meinte nun, dieses Leistungsbestimmungsrecht nicht mehr ausüben zu können, da die Arbeitnehmerin arbeitsunfähig sei. Demzufolge zahlte er auch keinen Lohn mehr. Die Arbeitnehmerin konnte aber aus gesundheitlichen Gründen lediglich die Nachtschicht nicht mehr verrichten.

In den weiteren drei Schichten, die das Schichtmodell des Arbeitgebers vorsah, konnte sie problemlos eingesetzt werden. Hieraus auf eine generelle Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin zu schließen, konnte das BAG ebenso wenig nachvollziehen, wie die Klägerin selbst.

Einsatz ohne Nachtdienst ohne weiteres möglich
Der Arbeitgeber war daher zum Einsatz der Klägerin unter Außerachtlassung der Nachtschichten verpflichtet. Entgegenstehende Gründe wären zwar denkbar, lagen im konkreten Fall aber nicht vor. Die Beschäftigung der Arbeitnehmerin ohne Nachtschicht war dem Arbeitgeber angesichts der Größe des Betriebes ohne weiteres zumutbar.

In einer Betriebsvereinbarung war zwar grundsätzlich ein rotierender Einsatz der Beschäftigten in den Schichten vorgesehen, es sollten jedoch individuelle Wünsche ausdrücklich berücksichtigt werden. Für eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot der Betriebsverfassung schließlich lag mit der Nachtdienstuntauglichkeit ein sachlicher Grund vor.

In kleinem Betrieb wäre anderes Ergebnis denkbar
In einem sehr kleinen Betrieb, in dem die Einsatzfähigkeit des Mitarbeiters in der Nachtschicht zwingend erforderlich ist, wäre freilich ein anderes Ergebnis denkbar. Hilfreich ist es in jedem Fall, wenn eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung eine Klausel zur Rücksichtnahme auf Arbeitnehmerbelange enthält.

Grundsätzlich war das BAG zu Recht der Auffassung, dass die Nachtdienstuntauglichkeit als eine Behinderung im Sinne von § 106 GewO (nicht im Sinne des SGB IX) anzusehen sei, auf die der Arbeitgeber Rücksicht nehmen müsse.

Unwilliger Arbeitgeber muss in Annahmeverzug gesetzt werden
Wichtig ist in derartigen Situationen, dass dem Arbeitgeber die Arbeitsleistung, zu die der Mitarbeiter fähig ist, auch tatsächlich angeboten wird. Nimmt der Arbeitgeber die angebotene Leistung nicht an, gerät er in Annahmeverzug.

Ist die angebotene Leistung eine andere, als die geforderte, gerät der Arbeitgeber zwar nicht in Annahmeverzug, macht sich aber unter Umständen schadensersatzpflichtig, wenn er trotz Möglichkeit einen leidensgerechten Arbeitsplatz nicht anbietet. Hier musste der Arbeitgeber den nicht gezahlten Lohn trotz Nichtbeschäftigung richtigerweise nachzahlen.

Lesetipp der AiB-Redaktion
»Das Projekt Gesündere Schichtarbeit - So kann es gelingen!« von Karl-Hermann Böker in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2011, Ausgabe S. 739–745.

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