Umkleidezeit ist Arbeitszeit
In dieser Sache ging es um die Frage, ob die für das Anlegen betrieblich vorgeschriebener Arbeitskleidung erforderliche Zeit zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehört. Im konkreten Fall ging es um die Zeit zum Umziehen und die dafür erforderlichen Wegezeit im Betrieb.
Geklagt hatte ein Beschäftigter in der Lebensmittelproduktion. Sein Arbeitsvertrag schrieb ihm vor, den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten.
Die Arbeitskleidung selbst durfte nach den Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden. Im Arbeitsvertrag stand auch, dass vor Betätigung der Stempeluhr die Arbeitskleidung an der Ausgabestelle abzuholen und in der Umkleide anzuziehen war.
Der Arbeitnehmer klagte schließlich für zurückliegende 737 Tage die Vergütung für jeweils 36 Minuten ein, die er täglich fürs An- und Ablegen der Arbeitskleidung benötigt hatte. Der Arbeitgeber war der Auffassung, er müsse diese Zeiten grundsätzlich nicht vergüten. Allenfalls würden täglich 24 Minuten für das Umkleiden benötigt.
Das BAG hat den bereits in den Vorinstanzen festgestellten Vergütungsanspruch bestätigt. Der Anspruch ergibt sich aus § 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er umfasst die Zeit, die der Arbeitnehmer zum Umkleiden und für die damit verbundenen Wege im Betrieb benötigt.
Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft an die vom Arbeitnehmer versprochenen Dienste an. Zu diesen gehört eben nicht nur die direkte Arbeitsleistung. Auch vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeiten oder Maßnahmen gehören dazu.
Entscheidend ist, dass sie mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und fremdnützig ist. Im Falle des Umkleidens ergibt sich die Fremdnützigkeit aus der Weisung des Arbeitgebers, die Arbeitskleidung erst im Betrieb anzulegen und sich dort an einer zwingend vorgegebenen Umkleidestelle umzuziehen.
Die vorangegangene Instanz hatte die für das Umkleiden notwendige Zeit mittels einer Schätzung nach § 287 ZPO ermittelt. Das BAG hat bestätigt, dass dies zulässig ist.
Zunächst trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Umkleide- und Wegezeiten angefallen sind, vom Arbeitgeber veranlasst wurden und in dem behaupteten Umfang erforderlich waren. Hier konnte der Arbeitnehmer die Umkleide- und Wegezeiten im Grundsatz nachweisen. Aber die tägliche Länge war streitig.
Das Tatsachengericht muss dann unter Würdigung aller Umstände entscheiden. Dabei hat es Ermessen, ob Beweise zu erheben sind oder eine Schätzung möglich ist.
Die Kammer des Arbeitsgerichts hatte sich selbst an den Ort des Geschehens begeben und bei einer Begehung die notwendigen Zeiten unterschiedlicher Personen ermittelt.Die so ermittelte gerichtliche Schätzung auf 27 Minuten täglich genügte den Anforderungen an die Ermessensausübung und war daher rechtsfehlerfrei.
Dass die Umkleidezeiten im Betrieb auf Veranlassung des Arbeitgebers vergütungspflichtig ist, hatte das BAG schon 2012 entschieden (BAG, 19.09.2012 – 5 AZR 678/11). Im hiesigen Fall ging es vor allem um die Höhe der Forderung.
Für den Arbeitnehmer und Prozessbevollmächtigten ist demnach wichtig, dass die Umstände des Umziehens im Betrieb konkret genug geschildert werden. Nur dann ist eine gerichtliche Schätzung der erforderlichen Dauer möglich.
Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber das Umkleiden im Betrieb vorschreibt. Für Arbeitskleidung, die bereits zuhause angezogen und auf dem Weg zur Arbeit getragen werden kann, gilt die Entscheidung nicht. Wenn sich in einem solchen Fall der Arbeitnehmer zum Umziehen im Betrieb entscheidet, liegt keine vergütungspflichtige Arbeitszeit vor.
Vorgaben zur Verpflichtung, Arbeitskleidung zu tragen, sind nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Das kann übrigens auch für betriebliche »Dresscodes« gelten. Dass das Umziehen innerhalb der Arbeitszeit erfolgt, ließe sich in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung regeln.
»Kleider machen Leute« von Schulze/Schuhmacher in AiB 10/2014, S. 18-20.