Mitbestimmung - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Krankenrückkehrgespräche sind mitbestimmungspflichtig

02. April 2014

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen, wenn die Arbeitgeberin nach der Rückkehr mit zuvor erkrankten Beschäftigten Gespräche führt, in denen es um die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit gehen soll, und die Gespräche sowohl dazu dienen sollen, gesundheitsschädliche Einflüsse durch die Arbeit zu beseitigen, als auch dazu, individualrechtliche Maßnahmen bis zur Kündigung des Arbeitnehmers vorzubereiten.

Der Fall

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweites Unternehmen des Mode-Einzelhandels.  In einer ihrer Filialen führt sie für jeden Arbeitnehmer sog. An- und Abwesenheitslisten. Dabei handelt es sich um formularmäßige Jahresübersichten, in denen handschriftlich für jeden einzelnen Arbeitstag eingetragen wird, ob der betreffende Mitarbeiter mit welchen Arbeitszeiten gearbeitet hat, ihm Urlaub gewährt worden ist oder er krankheitsbedingt gefehlt hat. Das Formular wird von dem Kassenverantwortlichen ausgefüllt und von der Filialleitung unter Verschluss aufbewahrt.

Darüber hinaus führt die Arbeitgeberin aus verschiedenen Anlässen sog. »Welcome-Back-Gespräche«, u.a. bei krankheitsbedingter Abwesenheit. Dies betrifft sowohl Arbeitnehmer mit auffälligen und hohen Ausfallzeiten als auch solche, die eine geringe Fehlquote haben. Der Betriebsrat der Filiale macht nun klageweise Mitbestimmungsrechte sowohl in Bezug auf die Erfassung der Listen als auch in Bezug auf die so genannten »Welcome-Back-Gespräche« geltend.

Die Entscheidung

Das LAG München gab dem Betriebsrat teilweise recht. So hielten die Münchner Richter lediglich die Durchführung der Krankenrückkehrgespräche für mitbestimmungspflichtig. Kriterium hierfür war, dass die Durchführung dieser eine Auswahl der Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln voraussetzt.

Denn Ziel der Arbeitgeberin war es, Informationen über Krankheitsursachen zu erhalten, die sowohl zur Beseitigung arbeitsplatzspezifischer Einflüsse als auch zur Vorbereitung individualrechtlicher Maßnahmen bis zur Kündigung des Arbeitnehmers dienen.

Doch auch rein einzelfallbezogene Gespräche unterlägen dem Mitbestimmungsrecht, so die Richter weiter. Denn dann wäre die Auswahl der Arbeitnehmer willkürlich: Während der eine Arbeitnehmer bereits dem Druck eines Krankenrückkehrgesprächs ausgesetzt wäre, wenn er drei Arbeitstage arbeitsunfähig fehlte, könnte ein anderer Arbeitnehmer diesem Gespräch bei längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten entgehen.

Eine solche Praxis widerspräche dem Gerechtigkeitsgedanken, der Grundprinzip der in § 87 Abs. 1 BetrVG katalogisierten Mitbestimmungsrechte ist. Dagegen verneinte das Gericht ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf das Führen der An- und Abwesenheitslisten.

Das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer wird dadurch nicht betroffen, meinten die Richter. Die Arbeitgeberin verfügt ohnehin über die dort zusammengefassten Informationen. Die Gefahr, zu einem Krankenrückkehrgespräch wegen Fehlzeiten herangezogen zu werden, besteht damit unabhängig von dem Führen dieser Listen.

Quelle

LAG München, Beschluss vom 13.02.2014
Aktenzeichen 3 TaBV 84/13

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Die Bezeichnung von verpflichtenden Mitarbeitergesprächen als »Welcome-Back-Gespräch« ist insbesondere dann, wenn es dem Arbeitgeber darum geht ggf. eine krankheitsbedingte Kündigung vorzubereiten, schon ein recht unangemessener Euphemismus.

Aber auch gegen derart verschleierte Maßnahmen des Arbeitgebers bietet das BetrVG ein wehrhaftes Rüstzeug für Betriebsräte. Die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG waren in diesem Fall betroffen. Der Betriebsrat hat in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen.

Ob Krankengespräche mitbestimmungspflichtig sind, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Auch das Arbeitsgericht hatte in diesem Rechtsstreit noch anders entschieden und eine Mitbestimmung abgelehnt. Zu Recht hat das LAG diese Entscheidung jedoch geändert. In Krankengesprächen werden Mitarbeiter zu ihrer Privatsphäre befragt und sind dadurch in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen.

Sie sind besonders schutzwürdig und es ist daher wichtig, dass der Betriebsrat sie unterstützen kann; insbesondere dann, wenn es dem Arbeitgeber um die Vorbereitung einer Personalmaßnahme wie einer Kündigung geht. Es kam auch nicht auf die Frage an, ob es sich – wie vom Arbeitgeber behauptet, aber nach Auffassung des LAG unglaubhaft – um individuell geführte Gespräche handelte, oder – zutreffend – um formalisierte nach abstrakten Regeln geführte Gespräche. Letztere sind nach einer BAG-Entscheidung stets mitbestimmungspflichtig, weil das Verhalten des Arbeitnehmers während des Gesprächs zum Gegenstand der Maßnahme werde.

Eine willkürliche Auswahl der Mitarbeiter, die zu Gesprächen geladen werden, wäre wiederum wegen Verstoßes gegen den Gerechtigkeitsgedanken mitbestimmungspflichtig.
Dass dem Arbeitgeber nebenbei das Führen von Fehlzeit-Listen ohne Betriebsratsbeteiligung nicht untersagt wurde, ist zu verschmerzen. Diese Daten sind ohnehin beim Arbeitgeber stets vorhanden.

Lesetipp der AiB-Redaktion
»BEM und Krankenrückkehrgespräche« von Dr. Eberhard Kiesche in »Arbeitsrecht im Betrieb« 9/2013, S. 520-523 .

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