Frontalangriff auf die IT-Mitbestimmung?

Arbeitgeber und Betriebsrat sollen sich »in IT-Fragen im Zusammenhang mit dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gemeinsam auf die Hinzuziehung eines entsprechenden externen Sachverständigen einigen«. Wie muss man sich das vorstellen und kann das funktionieren?
Prof. Dr. Peter Wedde:
Die Aussage im KI-Strategiepapier wirft viele Fragen auf. So ist etwa absehbar, dass eine gemeinsame Verständigung auf »entsprechende« Sachverständige in Betrieben nicht funktionieren wird, in denen das Klima zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten nicht gut ist. Wenn Betriebsräte bezogen auf komplexe KI-Themen tatsächlich wirksam unterstützt werden sollen, ist eine Orientierung an der Beraterregelung in § 111 Satz 2 BetrVG sinnvoll. Ergebnis müsste ein genereller Anspruch aller Betriebsräte sein, im Vorfeld der Einführung oder Veränderung von KI-Anwendungen einen Berater hinzuziehen zu können. Ein solcher Anspruch sollte allerdings nicht in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG integriert werden. Besser aufgehoben wäre er als Ergänzung zum allgemeinen »Sachverständigenanspruch« in § 80 Abs. 3 BetrVG. Eine solche Ansiedelung würde der Tatsache Rechnung tragen, dass KI-Anwendungen auch andere Mitbestimmungstatbestände berühren wie etwa Fragen der Arbeitszeitgestaltung oder der Ergonomie
Weil Künstliche Intelligenz Arbeitsabläufe komplett verändern wird, soll die Mitbestimmung in diesem Bereich gestärkt werden. Ist das realistisch?
Prof. Dr. Peter Wedde:
Eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte bezogen auf die Einführung und Anwendung neuer IT-Technologien ist schon lange überfällig. Allerdings läuten auf Arbeitnehmerseite sofort laute Alarmglocken, wenn es um Veränderungen des Mitbestimmungsrechts in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG geht. Die Arbeitgeberseite möchte dieses Mitbestimmungsrecht schon lange auf Fälle begrenzen, in denen sie Kontrollen ausdrücklich wollen. Würde dieser Wunsch Realität, hinge die starke Mitbestimmung in diesem Bereich künftig allein von Festlegungen der Arbeitgeber ab und nicht vom möglichen IT-Kontrollpotenzial. Die Novellierungsdevise darf deshalb nicht heißen »weniger Mitbestimmung«, sondern »Ausbau von Mitbestimmungsrechten«.
Wichtig wäre es beispielsweise, dass Betriebsräte schon in die Auswahl von KI-Anwendungen eingebunden werden durch wirksame Mitbestimmungsrechte, die sich auch auf die »Sinnhaftigkeit« von Anwendungen beziehen. Darüber ist ein neues autonomes »Mitbestimmungsrecht zum Datenschutz« unumgänglich, das eine aktive Mitwirkung bei der gesetzeskonformen Umsetzung des Datenschutzes ermöglicht.
Die Rede ist auch wieder von einem eigenständigen Beschäftigtendatenschutzgesetz. Ist das überhaupt noch ernst zu nehmen und hätte dieses neben der Datenschutzgrundverordnung noch Platz?
Prof. Dr. Peter Wedde:
Ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz ist angesichts von KI-Anwendungen unumgänglich. Ein solches Gesetz müsste seinen Namen aber auch wirklich verdienen und Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten wirksam und effektiv schützen. Es müsste deshalb mehr regeln als nur den Rahmen des Zulässigen. Notwendig ist darüber hinaus etwa ein klares arbeitsrechtliches Beweisverwertungsverbot, das wirkt, wenn Arbeitgeber Beschäftigtendaten ohne rechtliche Grundlage oder unter Verstoß gegen gesetzliche Verbote oder einschlägige kollektivrechtliche Regelungen verarbeiten.
Mehr lesen Sie im Magazin der »Computer und Arbeit« 12/2018, Seite 6 f.
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Der Interviewpartner:
Dr. Peter Wedde
Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Datenschutz, Arbeitsrecht und Technologieberatung in Eppstein.
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