Gleichheitsgrundsatz gilt auch für Nachtzuschläge

Das geschah
Eine Arbeitnehmerin war seit über 25 Jahren bei einer großen Eiscreme-Herstellerin als Anlagenfachkraft beschäftigt. Zwischen der Arbeitnehmerin und der Arbeitgeberin gilt ein betriebsbezogener Manteltarifvertrag.
Dieser Tarifvertrag regelte die Zuschläge zum Stundenlohn bei Nachtarbeit wie folgt:
- 15 Prozent für Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 bis 6 Uhr fallen,
- 20 Prozent für Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, die »regelmäßig länger als 14 Tage« überwiegend in die Nachtzeit fallen,
- 60 Prozent für sonstige Nachtarbeit.
Zudem war geregelt, dass beim Zusammentreffen mehrere Zuschläge nur der jeweils höchste zu zahlen ist.
Die Arbeitnehmerin erhielt für geleistete Nachtarbeit nur den Zuschlag von 15 Prozent. Sie verlangte jedoch 60 Prozent und klagte auf Nachzahlung des restlichen Lohns in Höhe von ca. 2.000 EUR brutto. Sie begründete dies damit, dass die Differenzierung zwischen Nachtarbeit in Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit und sonstiger Nachtarbeit gleichheitswidrig sei.
Sie bezog sich dabei auf eine Entscheidung des BAG, wonach eine tarifvertragliche Regelung rechtswidrig ist, die Schichtarbeiter gleichheitswidrig schlechter stellt, indem sie für allgemeine Nachtarbeit einen Zuschlag von 50 Prozent vorsieht, für Nachtarbeit im Schichtbetrieb aber lediglich einen Zuschlag von 15 Prozent (BAG 21.03.2018- 10 AZR 34/17).
Das Arbeitsgericht (ArbG) Eberswalde gab der Klägerin auch in diesem Verfahren Recht und sprach ihr den Nachtzuschlag in Höhe von 60 Prozent zu. Die Beklagte muss ihr damit den restlichen Lohn für die Nachtschichten bezahlen.
Hintergrund der Nachtarbeitszuschläge
Nach arbeitsmedizinischem Wissenstand ist Nachtarbeit ungesund. Sie ist für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen (so schon BAG 18.10 2017- 10 AZR 47/17). Die Arbeitsmedizin geht davon aus, das aufeinanderfolgende Nachtschichten sogar noch ungesünder sind.
Aus diesem Grund gibt es den Nachtzuschlag, der dies spiegeln soll. Er ist nach dem Zweck aber auch als Entschädigung gedacht. Wer Nachtarbeit leistet, arbeitet damit zu Zeiten zu denen die »normal« Arbeitenden schlafen. Damit kann der Nachtarbeiter nicht normal am sozialen Leben teilhaben. Er verpasst Familienfeste, Kultur/Sportveranstaltungen sowie jegliche Treffen mit Freunden.
Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz
Das ArbG Eberswalde bestätigte den Anspruch der Arbeitnehmerin auf den höheren Nachtschichtzuschlag im vollen Umfang. Die Kammer sieht in der ungleichen Bezahlung eine Ungleichbehandlung ohne rechtfertigenden Grund. Die einen Arbeitnehmer bekommen 60 Prozent Zuschlag, die anderen nur 15 Prozent für die gleichen Nachtstunden. Die Arbeit in der Nacht ist aber gesundheitlich genauso schädlich, egal ob sie in Schichten oder als Einzelfall erbracht wird.
Auch der Aspekt, nicht am sozialen Leben teilhaben zu können, sei mindestens gleich. Es seien auch keine Anhaltspunkte erkennbar, dass in Schicht geleistete Nachtarbeit eine geringere Belastung darstelle.
Aus diesem Grund ist die Ungleichbehandlung der sonstigen Nachtarbeit im Vergleich zur Wechselschichtarbeit nicht gerechtfertigt und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Liegt ein solcher Verstoß vor, muss diese Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer durch Anpassung nach oben beseitigt werden. Daher sprach das Gericht der Arbeitnehmerin die 60 Prozent Zuschlag insgesamt zu.
Erste Folge-Entscheidung zum BAG-Urteil von 2018
Bundesweit sind nach der Grundsatzentscheidung des BAG (21.3.2018 - 10 AZR 34/17) noch hunderte Verfahren in erster Instanz anhängig, vor allem im Rahmen von Tarifverträgen im Bereich Nahrung-Genuss-Gaststätten.
Das vorliegende Urteil des ArbG Eberswalde ist eines der ersten Urteile bundesweit, das zu einem anderen Tarifvertrag als in dem vom BAG entschieden Fall erging. Das Ergebnis, dass ein Anspruch auf Nachtarbeit besteht ist völlig zutreffend und schwimmt im Fahrwasser der Begründung und Entscheidung des BAG. Es hat eine wegweisende Bedeutung, denn die Betroffenen können hierauf verweisen. Beschäftigte in der gleichen Lage werden nun eher eine Klage erheben, weil ein positiver Ausgang wahrscheinlicher wird.
Praxistipp:
Die Entscheidung des BAG und die ihm folgenden Entscheidungen wie die des ArbG Eberwalde dürften prägend für weitere Tarifverhandlungen sein. Den Gewerkschaften und Arbeitgebern bleibt es unbenommen, die Ungleichbehandlung zu beseitigen, indem sie die Nachtzuschläge vereinheitlichen. Nachdem aber wissenschaftlich nachgewiesen wurde, wie gesundheitsschädlich Nachtarbeit auf Dauer ist, sollte sie nicht nur über die Bezahlung kompensiert werden. Tatsächlich sollten die Tarifvertragsparteien im Interesse einer besseren Work-Life-Balance nicht nur das Entgelt, sondern auch eine Erhöhung des Freizeitausgleiches ins Auge fassen.
Bettina Krämer LL.M. , DGB Rechtsschutz GmbH
Quelle
Aktenzeichen 1 Ca 375/19
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 16.10.2019.