Whistleblowing

Hinweisgeberschutzgesetz: Weg frei für Denunzianten?

10. Januar 2023
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Quelle: Pixabay.com/de

Der Bundestag verabschiedete am 16.12.2022 das Hinweisgeberschutzgesetz. Im Vergleich zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung wurden gewichtige Änderungen ergänzt. Zum einen werden nun auch Äußerungen von Beamten erfasst, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen. Zum anderen müssen auch alle anonymen Hinweise bearbeitet werden. Was bedeutet das genau?

Das Hinweisgeberschutzgesetz, eine verspätete Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie, muss jetzt noch durch den Bundesrat und wird voraussichtlich im Mai 2023 in Kraft treten.

Zweck des Gesetzes

Das Gesetz will den bislang nur lückenhaften und unzureichenden Schutz »hinweisgebender Personen« ausbauen und so den Hinweisgeberschutz verbessern. Hinweisgeber können nämlich einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen leisten. Aus Angst vor Repressalien schrecken sie allerdings häufig zurück, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden. Diese Benachteiligungen sollen ausgeschlossen werden und den Hinweisgebern Rechtssicherheit gegeben werden. Es geht also um eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung durch Einrichtung effektiver, vertraulicher und sicherer Meldekanäle sowie durch Schutz der Hinweisgeber vor Repressalien (Erwägungsgrund 3 HinSchRL).

Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich in § 1 Abs. 1 HinSchG ist weit gefasst und stellt als »hinweisgebende Personen« alle natürlichen Personen unter Schutz, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehene Meldestellen melden oder offenlegen. Maßgeblich ist lediglich, dass ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit besteht.

Der sachliche Anwendungsbereich ist dreigeteilt. Geschützt werden Meldungen oder Offenlegungen von Informationen über Rechtsverstöße aus enumerativ in § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 10 HinSchG genannten Bereichen, die teilweise der Richtlinie entnommen sind, teilweise den Katalog des Art. 2 Abs. 2 HinSchRL erweitern. Außerhalb dieser Katalogverstöße muss der gemeldete oder offengelegte Verstoß entweder strafbewehrt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG) oder qualifiziert bußgeldbewehrt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG) sein.

Inhalt des Hinweisgeberschutzes

Hinweisgeber haben gem. § 7 HinSchG ein Wahlrecht, ob sie ihre Information an eine vom Beschäftigungsgeber zu errichtende interne oder an eine externe Meldestelle (v.a. Bundesamt für Justiz) melden wollen. Bei einer solchen Meldung gilt sowohl zugunsten der Hinweisgeber als auch zugunsten der Personen, die Gegenstand der Meldung sind, gem. §§ 8, 9 HinSchG eine Vertraulichkeitsverpflichtung. Kernstück der gesetzlichen Regelung sind die Schutzmaßnahmen in §§ 33 ff HinSchG, v.a. das in § 36 Abs. 1 HinSchG geregelte Verbot von Repressalien, welches durch eine Beweislastumkehrregelung in § 36 Abs. 2 HinSchG prozessual verstärkt wird. Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien ist der Verursacher gem. § 37 Abs. 1 HinSchG schadenersatz- und entschädigungspflichtig. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen steht der betroffenen Person gem. § 38 HinSchG ein Schadenersatzanspruch gegen den Hinweisgeber zu.

Die neu eingefügten Erweiterungen

► Äußerungen von Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen

Eine ganz wesentliche Änderung, die über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses eingefügt wurde, ist die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des § 2 Abs. 1 HinSchG um eine Nr. 10. Unter den Schutz des Gesetzes fallen nunmehr auch Meldungen und Offenlegungen von Informationen über »Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen«. Ganz bewusst hat der Gesetzgeber diese Erweiterung den »Katalogtatbeständen« zugeordnet, um auch verfassungstreuwidrigen Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle erfassen zu können. Ausweislich der Begründung versteht der Gesetzgeber unter dem Begriff der »Äußerung« nicht nur schriftliche Äußerungen (z.B. in Chats), sondern auch mündliche Äußerungen und sogar bloße Gebärden.

► Anonyme Hinweise

Eine weitere Änderung befindet sich in § 16 Abs. 1 HinSchG und in § 27 Abs. 1 HinSchG. Demnach müssen, obwohl hierzu gem. Art. 6 Abs. 2 HinSchRL keine Notwendigkeit bestand, die internen und externen Meldestellen Meldekanäle vorhalten, die eine anonyme Kontaktaufnahme und Kommunikation ermöglichen. Soweit im Regierungsentwurf noch vorgesehen war, dass anonym eingegangene Meldungen nur bearbeitet werden »sollen«, wurde nunmehr eine Verpflichtung eingeführt, dass die Meldestelle anonym eingegangene Meldungen zu bearbeiten »hat«. Dies wird damit begründet, dass Anonymität grundsätzlich den größten Schutz für Hinweisgeber ermögliche und zur Verringerung der Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung beitrage.

Kritik

► Verfassungstreue der Beamten

Die Einführung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG ist erfolgt unter dem Eindruck der Razzien gegen die Reichsbürgerszene. Dies wird in der Begründung auch ausdrücklich erwähnt.

Beamte haben eine besondere Pflicht zur Verfassungstreue. Sie müssen sich gem. § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG und § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG (Bundesrecht) durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Einhaltung eintreten. Dies ist über Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich abgesichert. Das Interesse, den öffentlichen Dienst von Personen freizuhalten, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stellen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen (BT-Drs. 20/4909, Seite 57), ist offenkundig berechtigt und bedarf keiner ernsthaften weiteren Erörterung.

Dennoch stellt sich die Frage, ob es geboten ist, den Schutz des öffentlichen Dienstes vor verfassungsfeindlichen Beamten über einen Schutz von Hinweisgebern wegen Meldungen oder Offenlegungen von bloßen Äußerungen über das HinSchG zu bewerkstelligen oder ob die Einführung der Nr. 10 in § 2 Abs. 1 HinSchG nicht vielmehr ein Fremdkörper im Gesamtgefüge des HinSchG darstellt.

Mit dem Schutz von Meldungen über Äußerungen »unterhalb der Strafbarkeitsschwelle« wird mit dem ansonsten in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HinSchG zutage tretenden Ziel gebrochen, die Meldung oder Offenlegung von Verstößen mit vergleichsweise geringem Unrechtsgehalt aus dem Anwendungsbereich des Whistleblowerschutz auszunehmen.

Auffallend ist, dass unter den Hinweisgeberschutz nur Meldungen und Offenlegungen von »Äußerungs«-Verstößen fallen sollen. Sonstige Handlungen, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuwiderlaufen, die Strafbarkeitsschwelle aber nicht erreichen, sollen dagegen nicht erfasst sein. An welche »Äußerungen« der Gesetzgeber außerhalb des Bestreitens der Existenz der Bundesrepublik Deutschland gedacht hat, ergibt sich aus der Begründung nicht. Vielmehr scheint es dem Gesetzgeber darum zu gehen, von Äußerungen Kenntnis zu erhalten, aus denen er abzuleiten meint, dass der Äußernde eine verfassungsfeindliche Gesinnung haben könnte. Damit begibt er sich vor allem vor dem Hintergrund des im Verfassungsschutzbericht 2021 neu eingeführten unscharfen Phänomenbereichs der »verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« aber auf ein höchst gefährliches Spielfeld mit fatalen Auswirkungen auf die Meinungsäußerungsfreiheit. Es besteht die Gefahr, dass bloße kritische Äußerungen im Kollegenkreis zur Regierungspolitik in jeglichen politischen Konfliktfeldern (Corona, Ukrainekrieg, Energiekrise, Zuwanderung) zum Gegenstand von Meldungen gemacht werden könnten. Ob die kritischen Äußerungen dann als »ständige Agitation« oder als »Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten« zu werten sind, könnte anschließend intern immer noch geprüft werden.

Hinzu kommt, dass der eigentliche Zweck des Hinweisgeberschutzes, nämlich die Notwendigkeit der Schaffung eines Schutzes vor Repressalien, in den Fällen von Äußerungen von Beamten, die einen Verfassungstreueverstoß darstellen können, deutlich weniger virulent ist, als in den sonstigen im HinSchG geregelten Fällen. Vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind gem. Art. 20 Abs. 3 GG nämlich an Gesetz und Recht gebunden. Dass wegen falsch verstandener »Gefolgschaftstreue« Hinweisgeber, die über verfassungstreuwidrige Äußerungen einzelner Beamter Meldungen machen, Repressalien des Beschäftigungsgebers zu befürchten hätten, dürfte nicht zu erwarten sein.

► Anonyme Meldekanäle

Dass gem. §§ 16 Abs. 1 und 27 Abs. 1 HinSchG Meldekanäle für anonyme Kontaktaufnahmen und Kommunikationen eingerichtet werden müssen und anonyme Meldungen auch bearbeitet werden müssen, kann grundsätzlich nicht kritisiert werden.

Problematisch wird die Eröffnung anonymer Meldekanäle und die Pflicht zur Bearbeitung anonymer Meldungen nur dann, wenn die Meldung, wie in § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG, bloße »Äußerungsverstöße« (oder gar Gebärden) im nicht strafbaren Bereich betreffen. In diesen Fällen mag die Eröffnung der Anonymität vielmehr als Verstärker eines Denunziantentums wirken mit ggf. fatalen beruflichen Auswirkungen für die Betroffenen. Für den von einer solchen anonymen Meldung Betroffenen ist dies im besonderen Maße tragisch, weil ihm selbst der ohnehin nur schwach ausgeformte Schutz über den Schadenersatz bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschmeldung gem. § 38 HinSchG mangels Kenntnis des Hinweisgebers gänzlich versagt bleiben dürfte.

Fazit

Die noch kurz vor knapp eingefügte Ergänzung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG mag von nachvollziehbaren Motiven geleitet gewesen sein. Sie kippt aber das Kind mit dem Bade aus. Sie birgt die Gefahr übergriffiger Gesinnungsschnüffelei und Denunziantentums. Allein schon diese Gefahr wird Vorfeldwirkungen zeitigen in Form von Zurückhaltung selbst bei zulässigen Meinungsbekundungen. Am besten ist, in Amtsstuben wird nur noch über das Wetter und Fußball geredet. Die Regelung ist nicht Ausdruck einer wehrhaften Demokratie. Sie ist vielmehr geeignet ist, den demokratischen Diskurs zu schädigen.

Roland Stöbe, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.

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