Hoher Schadenersatz für fehlenden Kita-Platz

Kinder haben ab Vollendung des ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§24 SGB VIII). Es handelt sich um eine Leistung der Jugendhilfe. Die kommunalen Träger (Städte und Landkreise) haben eine Amtspflicht, Kindern diese Betreuung zu ermöglichen.
Darum geht es
Die Klägerin hatte nach der Geburt ihres Sohnes rechtzeitig den Bedarf für die Betreuung ab Vollendung des ersten Lebensjahres angemeldet. Die angebotenen Betreuungsplätze fand sie allerdings wegen der weiten räumlichen Entfernung und der geschätzten Fahrzeiten unzumutbar. Sie übernahm daher von März bis November 2018 die Betreuung des Kindes selbst. Sie verlangte vom zuständigen Landkreis Schadensersatz für ihren Verdienstausfall. Das Landgericht (LG) Darmstadt sprach ihr Schadenersatz in Höhe von gut 18.000 Euro zu (LG Darmstadt 22.11.2019 - 2 O 351/18).
Das sagt das Gericht
In der Berufungsinstanz sprach das Oberlandesgericht (OLG) der Klägerin hat weiteren Schadensersatz in Höhe von 5.000 Euro zu, insgesamt damit gut 23.000 Euro. Der Landkreis habe seine Amtspflicht zur unbedingten Gewährleistung eines Betreuungsplatzes verletzt, so das OLG.
Als Träger de Jugendhilfe müsse der Landkreis sicherstellen, dass eine dem Bedarf entsprechende Anzahl von Betreuungsplätzen vorgehalten werde. Diese Pflicht bestehe auch nicht etwa nur im Rahmen der vorhandenen, von den Gemeinden geschaffenen Kapazitäten. Vielmehr sei der Landkreis aufgrund seiner Gesamtverantwortung gehalten, eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch Dritte bereitzustellen.
Anmeldung ist rechtzeitig erfolgt
Der Lankreis sei schadenersatzpflichtig, weil er dem Sohn der Klägerin trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen zumutbaren Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt hat. Die Mutter habe ihren Bedarf unmittelbar nach der Geburt rechtzeitig bei der Gemeinde angemeldet. Zwar sei die bloße Anmeldung bei einer Wunscheinrichtung nicht ausreichend.
Allerdings habe die Klägerin u.a. durch das Ankreuzen aller vorhandenen Kinderbetreuungseinrichtungen und Kindertagespflege deutlich gemacht, dass sie einen umfassenden Betreuungsbedarf geltend mache. Da die Gemeinde zur Weiterleitung von Bedarfsmeldungen an den Landkreis verpflichtet sei, habe die Mutter den Bedarf auch nicht unmittelbar gegenüber dem Landkreis anmelden müssen.
Betreuungsplatz muss in zumutbarer Zeit ereichbar sein
Der Landkreis habe Eltern und Kind für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen zumutbaren Platz nachgewiesen. Ein Platz müsse dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Eltern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entsprechen.
Der vom Landkreis nachgewiesene Platz in Offenbach sei angesichts der räumlichen Entfernung nicht zumutbar gewesen. Die Fahrzeit vom Wohnort zum Betreuungsplatz betrüge bereits ohne Berücksichtigung der erheblichen Verkehrsbelastung dieser Strecke in den üblichen Bring- und Abholzeiten 30 Minuten; bis zum Arbeitsplatz wäre die Mutter 56 Minuten für eine Strecke unterwegs. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sei neben dem individuellen Bedarf des Kindes auch auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen.
Der Nachweis erfordert dabei das aktive Handeln des Jugendhilfeträgers im Sinne eines Vermittelns bzw. Verschaffens. Soweit der Landkreis nur darauf verweise, es seien freie Plätze vorhanden gewesen, genüge dies nicht, betont das OLG.
Die Klägerin habe damit Anspruch auf Ersatz des erlittenen Verdienstausfalls, den sie infolge des Fehlens eines Betreuungsplatzes erlitten habe.
Hinweis
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, es ist Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) unter eingelegt worden (Az. III ZR 91/21).
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Quelle
Aktenzeichen 13 U 436/19
OLG Frankfurt am Main, Pressemitteilung Nr. 49/2021