Nominiert für den Corona-Sonderpreis

»In der Not lernt der Betriebsrat fliegen!«

21. September 2020 Corona-Sonderpreis
Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen
Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen

Wie es gelingt, als Energieunternehmen die Versorgung für die Bevölkerung und zugleich die Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten, zeigt das Engagement des Betriebsrats der Stadtwerke Böblingen. Ihm gelang eine überzeugende Betriebsvereinbarung – ein Projekt, für das das Gremium für den Sonderpreis Corona nominiert wurde.

Gleich als der Lockdown und in der Folge Schul- und Kitaschließungen und Kontaktsperren bekannt wurden, kamen die Beschäftigten der Stadtwerke Böblingen auf das fünf-köpfige Betriebsratsgremium zu und erkundigten sich über Möglichkeiten zur Kinderbetreuung und Pflege sowie zu möglichen Maßnahmen des Infektionsschutzes.

Eine Betriebsvereinbarung, die sich sehen lassen kann!

Die im Betrieb bis dato üblichen Regelungen, wie Urlaubnahme oder der Abbau von Überstunden, reichten bei weitem nicht aus, um den coronabedingten Einschränkungen der Arbeitnehmer durch Schul- und Kitaschließungen zu begegnen. Auch Kurzarbeit der von der Bäderschließung betroffenen Beschäftigten war für den Betriebsrat der Böblinger Stadtwerke keine zielführende und akzeptable Lösung.

Daher wurde das Gremium tätig und ermittelte zusammen mit den Beschäftigten die Bedarfe und Möglichkeiten. Auf dieser Grundlage legte der Betriebsrat dem Arbeitgeber einen eigenständig entwickelten und umfassenden Entwurf für eine »Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeit während der Corona-Epidemie« vor, die bereits wenige Tage nach dem Lockdown in Kraft trat. Zahlreiche Anschlussvereinbarungen folgten ihr, unter anderem das Recht der Beschäftigten Home-Office flexibel für sich zu beanspruchen.

Die Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeit während der Corona-Epidemie regelte Folgendes umfassend:

  • Bezahlte Freistellungen zur Kinderbetreuung und Pflege über die gesetzlichen Vorgaben hinaus
  • Flexibel anpassbare Rahmenarbeitszeit
  • Tätigkeiten im Home-Office
  • die Arbeitsorganisation in den unterschiedlichen Unternehmensbereichen
  • die Beschäftigten des Bäderbereichs befinden sich vom 23.03.2020 bis zum 12.05.2020 unter voller Entgeltzahlung in Arbeitsbereitschaft zuhause, womit Kurzarbeit verhindert werden konnte.

Daneben hat das Gremium für eine laufende Information der gesamten Belegschaft gesorgt und weitere Bedarfe, beispielsweise zur erhöhten Kinderbetreuung, kontinuierlich abgefragt.

3 Fragen an den Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen

Wie seid ihr vorgegangen im Shutdown?

Zu Beginn des Shutdown – da gab es § 129 BetrVG noch nicht – haben wir mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung abgeschlossen, dass wir virtuelle Betriebsratssitzungen abhalten können und er uns daraus keinen Strick dreht. Wir sind an die Beschäftigten herangetreten und haben sie befragt, wer was braucht, um beispielsweise im Home-Office arbeiten zu können. Gleichzeitig haben wir uns aber auch um die Beschäftigten gekümmert, die für die Versorgung zuständig sind. In dieser immer stärker digitalisierten Zeit haben wir ganz viel kommuniziert, sowohl mit den Beschäftigten als auch mit dem Arbeitgeber, um Bedarfe herauszufinden und diese dann mit dem Arbeitgeber zu verhandeln.

Was war die große Schwierigkeit?

Es gab drei große Schwierigkeiten:

  1. Die technische Ausstattung war unzureichend, sowohl was Software- als auch was Hardware anbelangt. Zum Beispiel mussten wir für die Betriebsratssitzungen erstmal Webcams und Headsets beschaffen – auch die Software war uneinheitlich. Das war auch bei den Beschäftigten so. Wir haben als Betriebsrat dann die Software für Videocalls und -meetings ausgesucht und getestet und diese dann dem Arbeitgeber zur Ausstattung der Beschäftigten empfohlen.
  2. Es war uns im Gremium unklar, über welches Ausmaß der Corona-Bedrohung wir hier reden und verhandeln müssen. Wie lang sollte eine Corona-Pandemie-Vereinbarung laufen und wie flexibel darf sie sein? Wir sind dann auf Sicht gefahren und haben alle ein bis zwei Wochen die aktuelle Lage mit den Geschäftsführern besprochen. Den einen Geschäftsführer erreichten wir im Betrieb, und mit dem anderen haben wir digital gesprochen.
  3. Die dritte große Schwierigkeit war, dass wir einen Teil der Beschäftigten, mangels technischer Ausstattung, nur noch auf dem Postweg erreichen konnten. Wir haben dann Briefe an die Kolleginnen und Kollegen geschickt, um sie auf dem aktuellen Stand zu halten.

Wie konntet ihr den Arbeitgeber letztendlich überzeugen?

Den wesentlichen Ausschlag hat dafür wohl unser schlüssiges und allumfassendes Konzept - der schlüsselfertige Betriebsvereinbarungsentwurf – gegeben. Auch hatten sich Beschäftigte an die Geschäftsführung gewandt und ihre Bedarfe - die ja im Entwurf standen – formuliert. Das hat den Arbeitgeber dann überzeugt, ohne Einschränkung die vorgelegten Betriebsvereinbarungen zu unterschreiben. Wir haben uns allerdings auch auf den worstcase vorbereitet und uns mögliche Antworten auf die Gegenargumente – »alles zu teuer« –  des Arbeitgebers überlegt. So haben wir recherchiert, wie viele Beschäftigte Kinder haben und wieviel die in der Betriebsvereinbarung auszuhandelnde bezahlte Freistellung für diese Kolleginnen und Kollegen kosten würde.

Es war viel Arbeit, aber wir sind ein super Team, in dem jede/jeder ihre/seine Rolle ausgefüllt hat.

Weitere Informationen

Zum Unternehmen

Die Stadtwerke Böblingen GmbH & Co. KG (SWBB) sind ein Energie-, Dienstleistungs- und Versorgungsunternehmen. Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltung und der Betriebszentrale versorgen Böblingen mit Wasser, Strom, Gas und umweltfreundlicher Fernwärme. Außerdem werden das Hallenbad, eine angeschlossene Sauna, ein Freibad, sieben Parkhäuser, zwei P+R-Anlagen sowie ein Industriegleis von den Stadtwerken betrieben.

Zahl der Mitarbeiter: 51 bis 200

Gewerkschaften: ver.di


► Weitere Infos zu den diesjährigen Nominierten und dem Deutschen Betriebsräte-Preis

© bund-verlag.de (EMS)

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