Vergütung

Innerbetriebliches Pendeln ist Arbeitszeit

25. Mai 2021
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Quelle: © rdnzl / Foto Dollar Club

Regelt eine Betriebsvereinbarung, dass Fahrtzeiten zwischen Firmensitz oder Betriebsstätte und Einsatzort unvergütet bleiben, ist diese Regelung genau auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Denn sie geht zu Lasten der Beschäftigten. Das zeigt ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg.

Das war der Fall

In dem Rechtsstreit ging es im Kern um die Frage, ob sich im Rahmen einer Betriebsvereinbarung festlegen lässt, dass betrieblich veranlasste Fahrzeiten bis zu einem gewissen zeitlichen Aufwand nicht als Arbeitszeit zu werten sind. Wenn ja, wann sind solche Regelungen noch verhältnismäßig?

Ein Prüftechniker verlangte von der Arbeitgeberin, seinem Arbeitszeitkonto für den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2018 553,25 Stunden gutzuschreiben. Hilfsweise verlangte er Vergütungszahlungen von rund 8500 Euro für Zeiten, in denen er vom Firmensitz zu Baustellen als Einsatzort pendeln musste.

Das sagt das Gericht

Das LAG Berlin-Brandenburg gab der Berufung des Arbeitnehmers statt. Eine entsprechende Vereinbarung in einem Tarifvertrag oder dem Arbeitsvertrag sei nicht einschlägig. Die beiden Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung, HA 2008 und BV 2018, senken die Fahrzeitenvergütung für den Mitarbeiter in der Prüftechnik und den Beifahrer im Gefahrguttransport nicht wirksam ab. Die Regelungen über eine abgesenkte Vergütung für Fahrzeiten seien von den Betriebsparteien zwar formwirksam, unter Beachtung des Tarifvorrangs und mit Geltungsanspruch für die Betriebstätte in Bernau abgeschlossen. Die jeweiligen Betriebsnormen sind allerdings hinsichtlich der vergütungsfreien Zeiten während des betrieblich veranlassten Pendeln von 1,25 Stunden Fahrzeit ab Firmengelände wegen Unverhältnismäßigkeit unwirksam. Außerdem würde die von den Parteien getroffene arbeitsvertragliche Absprache über die Vergütungspflichtigkeit der Arbeitszeiten als günstigere Regelung vorgehen.

Die Unverhältnismäßigkeit folgt daraus, dass für die betroffenen Arbeitnehmer zu den resultierenden erheblichen unbezahlten Wegezeiten zwischen Betriebsstätte und Einsatzort stets die nach allgemeinen Grundsätzen völlig legal nicht bezahlte Wegezeit zwischen Wohnort und Betriebsstätte hinzukommt. Die Interessen der Arbeitnehmer finden laut LAG hinsichtlich der Relation von vergütungspflichtiger Arbeitszeit und vergütungsfrei gestellter Arbeitszeit in der Betriebsvereinbarung nicht hinreichend Berücksichtigung: Zumal durch dieses Konstrukt für Beschäftigte unverhältnismäßig lange unbezahlte Wegezeiten drohen. Daher stellt das LAG klar: »Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die unbezahlte Wegezeiten zu Lasten der Beschäftigten kumuliert, indem sie den nach verpflichtender Aufsuchung der Betriebsstätte zurückzulegenden Weg zu wechselnden auswärtigen Einsatzorten bis zu arbeitstäglich eineinviertel Stunden vergütungsfrei stellt, greift unverhältnismäßig in das arbeitsvertragliche Synallagma ein und ist daher unwirksam.«

Das muss der Betriebsrat wissen

Die Entscheidung stellt klar, dass den Regelungen in Betriebsvereinbarungen Grenzen gesetzt sind, wenn sie zu Lasten der Beschäftigten gehen. In diesem Fall sind insbesondere die Ausführungen zur Wirksamkeit der Regelung aus der Betriebsvereinbarung spannend, die von einer günstigeren arbeitsvertraglichen Regelung verdrängt werden. Die arbeitsvertragliche Absprache über die Vergütungspflicht hätte Vorrang. Eine Öffnung der günstigeren arbeitsvertraglichen Absprache über die Bezahlung bzw. Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto zu Gunsten von Betriebsvereinbarungen haben die Parteien nicht wirksam vereinbart. Eine entsprechende der Präambel des Arbeitsvertrags zu entnehmende Vereinbarung würde nicht hinreichend transparent sein. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, wonach Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend gelten, wird vom Günstigkeitsprinzip ergänzt. Das in § 4 Abs. 3 TVG (unvollkommen) geregelte Günstigkeitsprinzip ist Ausdruck eines umfassenden Grundsatzes, der unabhängig von der Art der Rechtsquelle und auch außerhalb des Tarifvertragsgesetzes Geltung beansprucht. Als Fazit ist also festzuhalten, dass bei der Überprüfung von in Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelungen auch Rechtsgrundsätze zu beachten sind, die nicht ausdrücklich in Normen zu finden sind.

© bund-verlag.de (mst)

Quelle

LAG Berlin-Brandenburg (08.01.2021)
Aktenzeichen 12 Sa 1859/19
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