Kündigung

Kein Schadenersatz für gekündigten Organisten

15. Januar 2020
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Ein katholischer Kirchenmusiker hat keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen entgangener Vergütung, wenn seine Kündigung rechtskräftig ist. Das gilt auch, wenn ein europäisches Gericht ihm eine Entschädigung wegen Verletzung seiner Menschenrechte zuerkannt hat. Der Organist und Chorleiter wurde wegen Eingehens einer neuen Beziehung nach einer Scheidung gekündigt. Von Margit Körlings.

Darum geht es:

Der katholische Kläger war als Kirchenmusiker, Organist und Chorleiter bei einer Kirchengemeinde beschäftigt. Nach der Trennung von seiner Ehefrau 1994 ging er eine neue Beziehung ein, aus der ein Kind hervorging. Die Kirchengemeinde kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, er habe gegen den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe verstoßen und seine Loyalitätsobliegenheiten ihr gegenüber verletzt. Den Kündigungsschutzprozess hat der Kläger durch die Instanzen verloren. Eine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Kläger erhob beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der EGMR stellte einen Verstoß gegen Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) welcher das Privat- und Familienleben schützt, fest. Ihm wurde eine Entschädigung von 40.000 Euro zugesprochen, weil er einen Verlust an Chancen erlitten habe. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Ausgleich eines materiellen Schadens wurde abgewiesen.

Der Kläger erhob daraufhin eine Klage auf Wiederaufnahme des Kündigungsschutzprozesses (Restitutionsklage). Auch diese wurde durch die Instanzen abgewiesen. Die eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde wieder nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der jetzigen Klage verlangt der Kläger die Zahlung der entgangenen Vergütung aufgrund der ausgesprochenen Kündigung sowie einen Ausgleich für entgangene Rentenansprüche als Schadenersatz. Diesen Anspruch hat er damit begründet, dass im Kündigungsschutzprozess ein Fehlurteil ergangen sei, weil der geltend gemachte Kündigungsgrund auch nicht von der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) offensichtlich nicht umfasst sei. Die Kirchgemeinde hätte durch ihr Verhalten und Vorbringen im Kündigungsschutzprozess sittenwidrig gehandelt.

Das sagt das Bundesarbeitsgericht:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies auch diese Klage des Kirchenmusikers ab. Es wurde rechtskräftig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet ist, und auch die Restitutionsklage war erfolglos. Auch die Entscheidung des EGMR ändert an dieser Rechtskraft nichts.

Steht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig fest, können Schadensersatzansprüche auf den Ersatz entgangenen Entgelts sowie entgangener Rentenansprüche nur allenfalls bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung in Betracht kommen (§ 826 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass die Voraussetzungen des § 826 BGB nicht vorliegen, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden – so das BAG.

Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch ist eine gegen die guten Sitten verstoßende Weise, durch welche einem anderen vorsätzlich Schaden zugefügt wird.

Die Rechtskraft eines Urteils muss nur unter sehr strengen Voraussetzungen zurücktreten. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung bewusst rechtswidrig zu dem Zweck herbeigeführt wurde, um dem, was nicht recht ist, den Stempel des Rechts aufzudrücken.

Beides ist nach Auffassung aller beteiligten Arbeitsgerichte nicht der Fall. Der Kläger, katholisch und verheiratet, ist nach der Scheidung eine neue Partnerschaft eingegangen. Diesen tatsächlich vorliegenden Sachverhalt hat die Kirchgemeinde als Kündigungsgrund angenommen.

Hinweis für die Praxis

Andere Situation als beim »Chefarzt-Urteil«

Dem Kläger half auch das kürzlich ergangene »Chefarzt-Urteil« nicht weiter (EuGH 9.11.2018 – C-68/17; BAG 20.02.2019 – 2 AZR 746/14). In dem Fall war ein katholischer Chefarzt an einem kirchlichen Krankenhaus wegen Eingehens einer zweiten Ehe nach einer Scheidung gekündigt worden. 

In der katholischen Kirche hat die Ehe herausragende Bedeutung. Sie ist nicht nur ein Bund und ein Vertrag, sondern gilt als Sakrament und grundsätzlich als unauflöslich. Der Chefarzt hatte sich nach langem Rechtsstreit unter anderem mit der Begründung durchgesetzt, dass in dem Krankenhaus auch nicht konfessionell gebundene Chefärzte beschäftigt waren, denen keine derartige Verhaltensregel für neue Beziehungen auferlegt wurde.

Daher befanden die Gerichte, die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber sei nicht verletzt, denn an die Loyalität von Mitarbeitern, die nicht im religiösen Dienst arbeiten, darf auch ein kirchlicher Arbeitgeber keine überzogenen Anforderungen stellen.

Die Situation des hier betroffenen Kirchenmusikers ist davon zu unterscheiden: Als Kirchenmusiker spielt er während der Messen und Gottesdienste und leitet die gesungenen Gebete an. Er steht daher als Person dem Verkündungsauftrag der Kirche näher als z. B. ein Arzt in einer kirchlichen Klinik. Denn die Kirchenmusik ist in katholischen Gottesdiensten nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern fester Bestandteil der Liturgie.

Schließlich hatte auch der EGMR nicht den Kündigungsvorwurf an sich gerügt, sondern dass das deutsche Arbeitsgericht die Nähe des Klägers zur Kirche nicht genügend geprüft hat, sondern den Standpunkt des Arbeitgebers ohne Nachprüfung übernommen hat, und dass keine Interessenabwägung erfolgt ist.

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

BAG (19.12.2019)
Aktenzeichen 8 AZR 511/18
Sie erhalten diese Entscheidungsbesprechung als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 15.1.2020.
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