Schwerbehinderung

Kein Verzicht auf Einladung zum Vorstellungsgespräch

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Quelle: © momius / Foto Dollar Club

Der Hinweis einer schwerbehinderten Person, nur zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden zu wollen, wenn er oder sie in die engere Auswahl komme, bedeutet keinen generellen Verzicht auf eine Einladung. Öffentliche Arbeitgeber müssen dennoch alle gesetzlichen Vorgaben zur Stellenbewerbung von schwerbehinderten Personen beachten. Sonst droht eine Entschädigung wegen Diskriminierung.

Das war der Fall

Eine schwerbehinderte Bewerberin hatte sich aufgrund einer »Stellenausschreibung für eine nach der Entgeltgruppe 7 TVöD-VKA vergütete Tätigkeit eines/einer Sachbearbeiters/Sachbearbeiterin beim Jugendamt, Dienststelle Haushalt, Gebühren und Rechnungswesen mit der Kennzahl 5« beim öffentlichen Arbeitgeber beworben und war abgelehnt worden. Daraufhin forderte Sie drei Monatsgehälter als Entschädigung für eine Diskriminierung, §§ 15, 1, 7 AGG.

Das sagt das Gericht

Der öffentliche Arbeitgeber war nach § 165 Satz 3 SGB IX nF (§ 82 Satz 2 SGB IX aF) verpflichtet, die schwerbehinderte Klägerin einzuladen. Ein verstoß gegen diese Vorschriften begründet die Vermutung der Diskriminierung.

Die Pflicht des Arbeitgebers entfällt nicht etwa wegen Unkenntnis der Schwebehinderung. Die Bewerberin hatte auseichend über ihre Schwerbehinderung informiert. Sie hatte in ihrer Bewerbungsmail mitgeteilt, dass sie schwerbehindert sei. Das reicht aus, so das BAG, die Vorlage des Schwerbehindertenausweises ist nicht nötig.

Die Bewerberin war auch nicht offensichtlich fachlich ungeeignet. Das ist nur der Fall, wenn unzweifelhaft feststeht, dass die sich bewerbende Person nicht dem fachlichen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können, stellen die Erfurter Richter klar.

Der Passus in der Bewerbungsmail, nur dann eingeladen werden zu wollen, wenn sie in die engere Auswahl komme, ist laut BAG nicht als Verzicht auf eine Einladung zu verstehen. Da öffentliche Arbeitgeber per Gesetz (§ 165 Satz 3 SGB IX) verpflichtet sind, schwerbehinderte Personen, die sich bewerben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, können diese nicht auf eine Einladung verzichten. Eine Einladung darf nur in dem Sonderfall unterbleiben, dass Bewerber offensichtlich fachlich ungeeignet sind. Auch aus der gesetzlich verankerten Möglichkeit, eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung auszuschließen, lasse keine Rückschlüsse auf einen möglichen Verzicht hinsichtlich der Einladung zu. Der Satz »Bitte laden Sie mich nur dann zu einem Vorstellungsgespräch ein, wenn Sie mich in die engere Wahl nehmen, alles andere macht m. E. wenig Sinn« müsse im Zusammenhang mit der weiteren Bewerbungs-Mail als Ausdruck von Frustration aufgrund vorheriger Ablehnungen interpretiert werden.

Aufgrund der festgestellten Diskriminierung hat das BAG der Bewerberin eine Entschädigung in Höhe des 1,5fachen des erzielbaren Bruttomonatsverdienstes als angemessenen Wert zugestanden. Der Betrag ist laut BAG erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.

Das müssen Personalrat und SBV wissen

Kein Verzicht auf Einladung zum Vorstellungsgespräch durch schwerbehinderte Person möglich – das ist der Kern der Aussage in dieser Entscheidung. Das BAG stellt hier klar, dass aufgrund der gesetzlichen Vorgaben für öffentliche Arbeitgeber der Interpretationsspielraum von Bewerbungsschreiben eingeschränkt ist und hinter die normierten Pflichten der Arbeitgeber zurücktreten muss. Die Schlussfolgerung, dass Bewerber mit Schwerbehinderungen möglicherweise nur in bestimmten Fallkonstellationen eingeladen werden möchten, sollte dringend unterbleiben – denn dann wird das Ausbleiben der Einladung mit großer Wahrscheinlichkeit diskriminierend sein.  

© bund-verlag.de (mst)

Quelle

BAG (26.11.2020)
Aktenzeichen 8 AZR 59/20
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