Keine Gefährdungsbeurteilung ohne Betriebsrat

Das war der Fall
Im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens drehte sich der Streit um die Inbetriebnahme einer neuen Zustellbasis und der dortigen Paketverteilanlage (MechZB), die ohne die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung unter Beteiligung des Betriebsrats stattgefunden hatte. Die Arbeitgeberseite ist dabei der Auffassung, dass die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen schon immer in Abstimmung mit der jeweiligen Berufsgenossenschaft als Mustergefährdungsbeurteilung durchgeführt würden, ohne den Betriebsrat dabei zu beteiligen, der diese Praxis im Übrigen in der Vergangenheit geduldet habe.
Das sagt das Gericht
Das LAG Schleswig-Holstein hat die Beschwerde des Betriebsrats auf die Entscheidung des ArbG Kiel als unbegründet abgewiesen. Im Beschluss führt das LAG aus, dass insbesondere der vom Betriebsrat gerügte Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht bei der Erstellung der Grundlagen für eine Gefährdungsbeurteilung nicht die Untersagung der Tätigkeitsaufnahme der Beschäftigten in der MechZB und die Verwendung der installierten Paketverteilanlage nach sich ziehen könne. Der dem Betriebsrat dem Grunde nach zustehende Unterlassungsanspruch sei nicht auf die gewünschte Rechtsfolge hin gerichtet, die der Betriebsrat beantragt hat.
Unterlassungsanspruch besteht dem Grunde nach
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit den §§ 3 BetrSichV und § 3 ArbStättVO. Die Mitbestimmung bezieht sich auf die Festlegung der Regelungen, nach denen die Gefährdungsbeurteilung erfolgen soll. Der Zeitpunkt, an dem die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, unterliegt nicht der Mitbestimmung, und auch die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung als tatsächliche Handlung erfolgt ohne Beteiligung des Betriebsrats.
Der Betriebsrat hätte somit vor Durchführung der Gefährdungsbeurteilung über deren Grundlagen mitentscheiden müssen. Die ohne Mitbestimmung durchgeführte Gefährdungsbeurteilung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, so das LAG, was aber der Kontrolle der zuständigen Ordnungsbehörden unterliege.
Weil die einseitig durchgeführte Gefährdungsbeurteilung unwirksam ist, besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats fort, unabhängig von der Inbetriebnahme der Anlage. »Regelungen über die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung können und müssen auch jetzt noch vereinbart werden. Die Durchsetzung dieses Anspruchs des Betriebsrats ist dem Einigungsstellenverfahren vorbehalten«, stellt das LAG klar.
Betriebsrat hat Anspruch auf Folgenbeseitigung
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bei Verstößen gegen Mitbestimmungsrechte verpflichtet, den mitbestimmungswidrigen Zustand zu beseitigen, weshalb der Betriebsrat hier die Beseitigung der Folgen der bereits durchgeführten Gefährdungsbeurteilung verlangen kann: Das wäre laut LAG allerdings nur die Beseitigung der Dokumentation über die (fälschlich durchgeführte) Gefährdungsbeurteilung, die den Anschein einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung erwecken kann. Weitergehende Ansprüche wie die Stilllegung der Anlage im inzwischen eröffneten Paketzentrum bestehen nicht.
Ein Unterlassungsanspruch aus § 111 BetrVG kam im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Das muss der Betriebsrat wissen
Entscheidend ist in Fällen einer unwirksamen Gefährdungsbeurteilung, dass sich der Betriebsrat über die Rechtsfolge im Klaren ist: Denn diese ist entscheidend für den Antrag, der vor dem Arbeitsgericht gestellt wird. Der Unterlassungsanspruch geht hier nicht so weit, dass die Nutzung der bereits eingesetzten Anlage bzw. das Arbeiten mit dieser Anlage untersagt werden könne. Wichtig: Der Betriebsrat kann dennoch im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens nachträglich mitbestimmen über die Regeln, nach denen die Gefährdungsbeurteilung zu erfolgen hat.
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Quelle
Aktenzeichen 1 TaBVGa 4/20