Keine Verdachtskündigung ohne dringenden Verdacht

Das war der Fall
Im Rechtsstreit ging es um die Kündigung einer in einer Eisdiele beschäftigten Servicekraft. Im Raum stand ein möglicher Diebstahl von Münzgeld: Der Arbeitgeber hatte den Vorwurf erhoben, die Mitarbeiterin habe Gelder nicht in die Kasse eingebongt, sondern stattdessen in einem Trinkbecher gesammelt, um sich dieses Münzgeld später anzueignen. Die Mitarbeiterin behauptete, dieses Münzgeld als Trinkgeld mit einer Kollegin gesammelt zu haben.
Das sagt das Gericht
Das Arbeitsverhältnis ist erst aufgrund ordentlicher Kündigung vom 30.06.2019 mit Ablauf des 31.07.2019 beendet worden und nicht bereits zuvor mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 01.07.2019. Für diese ist kein wichtiger Grund ersichtlich.
Die ordentliche Kündigung ist wirksam, weil keine weiteren Unwirksamkeitsgründe ersichtlich sind und das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 01.07.2019 lediglich seit dem 01.05.2019 und damit noch keine sechs Monate bestand, so dass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung (§ 1 Abs. 1 KSchG) findet.
Die außerordentliche Kündigung vom 30.06.2019 hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet, denn sie ist unwirksam, weil es an dem erforderlichen wichtigen Grund fehlt. In Betracht käme hier eine Verdachtskündigung. Diese setzt voraus, dass gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine sogenannte Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urteil vom 06.11.2003, Az.: 2 AZR 631/02).
Für eine Verdachtskündigung wäre eine förmliche Anhörung der Mitarbeiterin vor Ausspruch der Kündigung erforderlich gewesen – diese hatte hier nicht stattgefunden, sie ist allerdings zwingende Voraussetzung, was sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt. Denn der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhaltes ausschöpfen.
Zudem fehlt der erforderliche dringende Verdacht, der sich auf konkrete Tatsachen stützt, die der Arbeitgeber vortragen und beweisen muss. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass dieser Verdacht zutrifft, er also nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen erklärbar ist, dass eine Kündigung nicht rechtfertigen kann. Vermutungen reichen nicht aus. Ein Becher mit Münzen im Tresen reicht für den Verdacht, die Mitarbeiterin habe diese aus der Kasse entnommen und sich aneignen wollen, nicht aus, so das LAG. Das Vorbringen der Klägerin, es habe sich um Trinkgeld gehandelt, ist ebenso denkbar, weswegen kein dringender Verdacht anzunehmen ist.
Das muss der Betriebsrat wissen
Spannend für Interessenvertreter:innen sind die Ausführungen des LAG Mecklenburg-Vorpommern zur Verdachtskündigung. Denn hier ist die Anhörung der verdächtigten Person unbedingte Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung. Zudem stellt das Gericht noch einmal klar, dass an Verdachtskündigungen hohe Voraussetzungen hinsichtlich des Vortrags zum Sachverhalt zu stellen sind – bloße Vermutungen, dass es einen bestimmten Ablauf gegeben haben könnte, reichen nicht aus: Eine Verdachtskündigung kommt in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat.
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Quelle
Aktenzeichen 2 Sa 269/20