Kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht nur selten zulässig

Wie das das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in arbeitsrechtlichen Fragen reicht, hat der ehemalige Arbeitsrichter Peter Stein in einem Gutachten für das HSI geprüft.
Selbstbestimmung oder Selbstverwaltung?
Die Stellung der Kirchen im Staat sei im Grundgesetz in Artikeln geregelt, die aus der Weimarer Reichsverfassung (WRV) übernommen wurden, führt der Jurist aus (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 bis 141 WRV). Darin finde sich unter anderem ein „Recht der Glaubensgemeinschaften auf Selbstverwaltung innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts“ (Art. 137 Abs. 3 WRV). Das Grundgesetz habe klarstellen wollen, dass für die Kirchen die gleichen Rechte wie für alle gelten. Erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe das kirchliche Selbstverwaltungsrecht hin zu einem "Selbstbestimmungsrecht" ausgeweitet, auch im Arbeitsrecht.
Die Grenzen seien hier edoch enger gesteckt, als es die deutsche Rechtsprechung vorgegeben habe: Das kirchliche „Nebenarbeitsrecht“ sei spätestens nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht mehr haltbar (vgl. u.a. EuGH 17.04.2018 - C-414/16 (Egenberger), Grenzen des Bekenntniszwangs). Vorgaben, die in die private Lebensführung eingreifen und auf eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten hinauslaufen, seien allenfalls bei „verkündigungsnahen“ Tätigkeiten rechtmäßig. Ob das im Einzelfall zutreffe, hätten allein staatliche Gerichte zu entscheiden.
EU-Recht setzt enge Grenzen
Dass die „Überbetonung kirchlicher Sichtweisen“ ein Irrweg ist, hat dem Gutachten zufolge 2018 auch der EuGH bestätigt. Die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie enthalte zwar Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot, auf die sich Kirchen berufen können. So können die Kirchen, zum Beispiel die Konfession als Einstellungskriterium verwenden. Allerdings seien diese Ausnahmen eng auszulegen: Der Aufgabenbereich, der ohne eine bestimmte Religion nicht ausgeübt werden kann, müsse „quantitativ einen erheblichen Teil des gesamten Aufgabenfeldes ausmachen“. Zudem müsse die Diskriminierung „geeignet“ und sachlich notwendig sein.
Kirchliche Vorgaben für Verkündungsdienst bleiben erlaubt
Bei verkündigungsnahen Tätigkeiten, beispielsweise als Pfarrer, Rabbi oder Imam, sei regelmäßig davon auszugehen, dass das der Fall ist. Auch bei Religionslehrerinnen und -lehrern erscheine das plausibel.
Nicht dagegen, wenn es um Sportlehrer:innen an konfessionellen Schulen oder Ärzt:innen für kirchliche Krankenhäuser geht. In solchen Fällen sei das legitime Interesse der Kirchen durch „loyales und aufrichtiges Verhalten“ gewahrt. Nötig sei Rücksichtnahme auf die Werte des Arbeitgebers, nicht Übernahme. Die Ungleichbehandlung dürfe sich zudem nur auf die Religion oder Weltanschauung beziehen, nicht dagegen auf die sexuelle Orientierung. Die Beweislast dafür, dass im Einzelfall Gefahr für ihr Ethos oder ihr Recht auf Autonomie besteht, liege vor Gericht bei den Kirchen.
Anpassungen im AGG und BetrVG vorgeschlagen
Um für Klarstellungen im deutschen Recht zu sorgen und es in Einklang mit Unionsrecht zu bringen, empfiehlt der Autor Anpassungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ob eine gerechtfertigte berufliche Anforderung vorliegt, dürfe sich nicht nach dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bestimmen, sondern allein nach der Art der Tätigkeit.
Zudem sollte der Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auf kirchliche Einrichtungen ausgedehnt werden, wird doch über die kirchliche Mitarbeitervertretung neben den Interessen der Beschäftigten zugleich auch ein kirchliches Amt vertreten. Das Recht zu streiken steht kirchlichen Beschäftigten nach Steins Einschätzung bereits jetzt zu, weil ohne dieses Recht keine Lohnverhandlungen auf Augenhöhe möglich sind.
Weitere Informationen:
Peter Stein: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Arbeitsrecht und seine Grenzen, HSI-Schriftenreihe Band 47, Januar 2023 (kostenloses pdf verfügbar)
Quelle:
Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Pressemitteilung vom 9.1.2023
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