Kündigungsschutz

Kündigungszeitpunkt bei Massenentlassung

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Quelle: Kathrin39_Dollarphotoclub

Bei Massenentlassungen ist eine vorherige Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zwingend vorgeschrieben. Der Arbeitgeber darf bei Anzeige der Massenentlassung allerdings den Kündigungsentschluss schon gefasst haben. Von Matthias Beckmann.

In diesem Verfahren ging es um eine betriebsbedingte Kündigung, gegen die sich der Arbeitnehmer gerichtlich zur Wehr setzte. Über das Vermögen des Arbeitgebers war das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden.

In einem Interessenausgleich wurde vereinbart, den Betrieb stillzulegen und alle Arbeitsverhältnisse zu beenden. Darin wurde auch festgehalten, dass der Betriebsrat im Rahmen der Massenentlassung nach § 17 Abs. 2 KSchG einbezogen worden sei.

Betriebsstilllegung und Massenentlassung

Der Insolvenzverwalter fertigte daraufhin eine Massenentlassungsanzeige, die er unterzeichnete und die der Arbeitsagentur am 26.7. zuging. Am gleichen Tag wurde das Kündigungsschreiben unterzeichnet, das dem klagenden Arbeitnehmer am 27.7. zuging.

Mit seiner Klage rügte der Arbeitnehmer unter anderem, dass das Verfahren zur Anzeige einer Massenentlassung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Der Insolvenzverwalter hätte die Kündigung erst unterzeichnen dürfen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur eingegangen sei.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hatte dem Kläger noch Recht gegeben. Vor der Entlassung müsse die Anzeige bei der Arbeitsagentur erfolgen. Dabei stellte das LAG nicht auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer ab sondern auf die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens. Diese dürfe erst erfolgen, nachdem die Massenentlassung angezeigt worden sei.

Zugang der Kündigungserklärung entscheidend

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Entscheidung aufgehoben. Anders als das LAG stellte das BAG auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer ab. Nur der Zugang der Kündigung müsse zeitlich nach der Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur liegen. Da das im hiesigen Verfahren der Fall war, hatte der Arbeitgeber sich an die gesetzlichen Vorgaben in dieser Hinsicht gehalten.

Da aus anderen Gründen nicht geklärt war, ob die Kündigung rechtswirksam war, wurde die Sache vom BAG an das LAG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Hinweise für die Praxis

Bei Massenentlassungen gibt es besondere Verfahrens- und Formvorschriften, die der Arbeitgeber beachten muss. Tut er dies nicht, ist die Kündigung in aller Regel unwirksam. Geregelt ist dies in § 17 KSchG.

Ob eine Entlassung mehrerer Arbeitnehmer eine Massenentlassung ist, richtet sich nach der dortigen Staffelung. Liegt eine solche vor, muss der Arbeitgeber zum einen zunächst der Arbeitsagentur die Massenentlassung anzeigen, und zum anderen muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung dem Betriebsrat im Hinblick auf die Massenentlassung konsultieren.

Kündigungsentschluss darf feststehen

Nach Auffassung des BAG reicht es aus, wenn zwar der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers bereits feststeht, dem Arbeitnehmer die Kündigung aber noch nicht zugegangen ist.

Ein zeitgleicher Zugang von Massenentlassungsanzeige und Unterzeichnung der Kündigung ist demnach zulässig. Dem Einwand des Arbeitnehmers, dass bereits die Unterzeichnung der Kündigungserklärung der Ausspruch der Kündigung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH sei, folgte das BAG anders als das LAG nicht.

Anzeigepflicht und Konsultationspflicht

§ 17 KSchG hat zwei unterschiedliche Schutzrichtungen, nämlich die Anzeigepflicht gegenüber der Arbeitsagentur und die Konsultationspflicht gegenüber dem Betriebsrat. Aus jedem dieser beiden Verfahren kann sich ein eigenständiger Unwirksamkeitsgrund für die im Rahmen der Massenentlassung erfolgte Kündigung ergeben.

Die Vorgaben des § 17 KSchG sind eine nicht zu unterschätzende Hürde für den Arbeitgeber. Wichtig ist, dass die Rüge der fehlerhaften Massenentlassungsanzeige bzw. des Konsultationsverfahrens bereits in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht erfolgt.

Unterbleibt dieser Vortrag, so kann er in der Berufungsinstanz in aller Regel nicht nachgeholt werden.

Konsultationsverfahren mit Betriebsrat

Der vorliegende Fall hätte anders entschieden werden müssen, wenn der Arbeitgeber vor oder zeitgleich mit der Konsultation des Betriebsrats die Kündigungsschreiben bereits unterschrieben hätte. Es ist nämlich gerade Sinn des Konsultationsverfahrens, dass der Betriebsrat auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einwirken kann und alternative Lösungsvorschläge einbringen können soll.

Der Betriebsrat muss über die im Gesetz aufgezählten Umstände informiert werden. Die Darlegungs- und Beweislast für die Beratungen mit dem Betriebsrat trägt der Arbeitgeber.

Eine schriftliche Erklärung des Betriebsrats, wonach die Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 KSchG erfüllt sei, sollte daher nicht vorschnell abgegeben werden.

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

BAG (13.06.2019)
Aktenzeichen 6 AZR 459/18
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters »AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat« vom 17.7.2019.
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