Nachgezahlter Lohn zählt beim Arbeitslosengeld mit

Ein Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Der Betriebsrat schloss im Jahr 2010 mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über einen kollektiven Lohnverzicht, um zu verhindern, dass der Betrieb geschlossen wird. Die Arbeitnehmer/innen verzichteten insoweit auf ein Drittel ihres Bruttolohns. Gleichzeitig vereinbarte man, dass die Differenz zwischen dem eigentlichen und dem abgesenkten Lohn nachgezahlt wird, wenn es dennoch zur Betriebsschließung und damit zu Kündigungen kommen sollte.
Arbeitsagentur erkennt Lohn nicht an
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.6.2012 betriebsbedingt und zahlte ihr das Gehalt, auf das sie verzichtet hatte, mit der letzten Abrechnung aus.
Als die Klägerin bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld (ALG) beantragte, berechnete diese das ALG nur auf Grundlage des abgesenkten Gehalts. Die Nachzahlung sei wegen der Kündigung erfolgt und könne daher nicht berücksichtigt werden.
Das sagt das Gesetz
Die maßgebliche Regelung findet sich in § 151 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach berechnet sich das ALG – vereinfacht ausgedrückt – nach dem durchschnittlichen Gehalt in einem bestimmten Zeitraum vor der Arbeitslosigkeit.
§ 151 Abs. 2 Nr. 1 SGB III legt fest, dass Arbeitsentgelte außer Betracht bleiben, die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind.
Das sagt das Bundessozialgericht
Die Klägerin gewann – vertreten durch die DGB Rechtsschutz GmbH – in allen drei Instanzen. Das Bundessozialgericht (BSG) urteilte, dass das gesamte Entgelt der Klägerin – also abgesenkter Betrag zuzüglich Nachzahlung zum eigentlich Gehalt – bei der Bemessung des ALG zu berücksichtigen ist.
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht die wesentliche Ursache für die Zahlung gewesen. § 151 SGB III solle verhindern bezwecke, dass das Gehalt kurzfristig erhöht werden, um die Bereitschaft des Arbeitnehmers zu steigern, die Beendigung zu akzeptieren. Ein solcher Fall liege aber nicht vor.
Praxistipp: Folgen der Sozialpläne abwägen
Das Urteil des BSG ist zutreffend und begrüßenswert. Es zeigt aber, dass auch die sozialrechtlichen Folgen von Betriebsvereinbarungen (also auch Sozialplänen) bedacht werden müssen. Natürlich können Betriebsratsmitglieder keine Experten im Sozialversicherungsrecht sein. Aber ein paar einfache Strukturen sind schon sehr hilfreich:
- Viele Sozialleistungen lassen sich auf die Formel Zeit x Geld zurückführen.
- Zeit bedeutet die Dauer eingezahlter Beiträge.
- Geld steht für die eingezahlten Beiträge.
Je länger aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis also möglichst hohe Beiträge abgeführt werden, desto positiver wirkt sich das auf eine anschließende Sozialleistung wie Arbeitslosen- oder Krankengeld, aber auch ein (Erwerbsminderungs-) Rente aus.
Umgekehrt bewirken Nachzahlungen bzw. verspätete Zahlungen bei schon beendetem Arbeitsverhältnis häufig, dass eine laufende Sozialleistung gekürzt wird oder vorübergehend wegfällt.
Insgesamt gilt daher, dass Verkürzung und Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit Bedacht geregelt werden sollten. Gleiches gilt, wenn der Zeitpunkt einer Zahlung vorverlegt oder hinausgeschoben werden soll.
Kranke, schwerbehinderte und rentennahe Arbeitnehmer sind besonders betroffen und sollten individuell beraten werden, am besten von ihrer Gewerkschaft. Betriebsvereinbarungen können eine Klausel enthalten, nach der eventuelle sozialrechtliche Nachteile vom Arbeitgeber ausgeglichen werden müssen.
Schließlich ist zu bedenken, dass eine Vereinbarung, die zum Nachteil eines Arbeitnehmers von sozialrechtlichen Vorschriften abweicht, nichtig sein kann (§ 32 SGB I). Dieses gesetzliche Verbot gilt auch Betriebsvereinbarungen.
Bastian Brackelmann, DGB Rechtsschutz GmbH
Quelle
Aktenzeichen B 11 AL 16/16 R
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat 4/2018 vom 7.3.2018.