Rauswurf eines Kirchenmusikers wegen Familienplänen unzulässig

Darum geht es
Der Kläger war als Kirchenmusiker in leitender Stellung bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweig beschäftigt (Braunschweiger Domkantor). Er plante, mit seinem aus Kolumbien stammenden Ehemann ein oder zwei Kinder von Leihmüttern in Kolumbien austragen zu lassen.
Dies wurde seiner Landeskirche bekannt, die allerdings die Leihmutterschaft ablehnt. Die Landeskirche sah im Verhalten des Klägers einen erheblichen Loyalitätsverstoß, der eine weitere Zusammenarbeit auch unter Berücksichtigung der exponierten Position des Klägers als Domkantor mit bundesweitem Bekanntheitsgrad unzumutbar mache. Zudem hätten die Diskussionen um die privaten Planungen des Klägers zu Zerwürfnissen unter Mitarbeitern, die in weiten Teilen eine weitere Zusammenarbeit ablehnten, geführt.
Der Domkantor hatte dem entgegengehalten, dass zu keinem Zeitpunkt eine kommerzielle Leihmutterschaft geplant gewesen sei und dass die Landeskirche versuche, durch die Kündigung einen bloßen Gedankenprozess zu unterbinden. Ferner habe die Kirchengemeinde selbst für die Verbreitung des Sachverhalts gesorgt. Der Kläger sei in seiner Reputation und möglicherweise auch wirtschaftlich schwer geschädigt.
Da der Kirchenmusiker allerdings seine Pläne offengehalten hatte, erhielt er eine außerordentlich fristlose Kündigung vom 22.03.2022, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.10.2022.
Dagegen wehrte er sich mit einer Kündigungsschutzklage.
Das sagt das Gericht
Das Arbeitsgericht (ArbG) hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für unwirksam erklärt.
Weiterhin hat das Gericht die Landeskirche verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Domkantor weiter zu beschäftigen.
Kein Kündigungsgrund
Das Gericht begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass kein an sich wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorlag: In dem sanktionierten Verhalten des Klägers sei kein direkter Verstoß gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht gegenüber der Landeskirche zu erkennen.
Auch indem der Kläger gegenüber der Landeskirche erklärt hat, sich die Möglichkeit einer Leihmutterschaft offenzuhalten, habe er nicht gegen eine konkrete, aus dem Selbstverständnis der Kirche folgende Loyalitätsanforderung verstoßen.
Kein Anlass zum Auflösen des Arbeitsverhältnisses
Auch überwiege im Wege der gebotenen Abwägung der Interessen der Parteien im Einzelfall nicht das Interesse der Kirche an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dabei berücksichtige die Kammer - neben dem Umstand, dass ein direkter Verstoß des Klägers gegen Loyalitätspflichten nicht erkannt werden kann – insbesondere, dass die mit der Kündigung sanktionierte Äußerung keinen provokativen Charakter aufweist, sondern dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit unterfällt.
Der bloße Abwägungsprozess des Klägers sei nicht mittels Kündigung zu sanktionieren. Ferner bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte, dass die öffentliche Verbreitung der Problematik auf einem Verhalten des Klägers beruhe; das Gericht erkennt hierbei einen erheblichen Eigenanteil der Landeskirche und ein Mitverschulden.
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Quelle
Aktenzeichen 7 Ca 87/22
ArbG Braunschweig, Pressemitteilung vom 15.9.2022