SBV-Anhörung: Information aus zweiter Hand reicht nicht

Darum geht es
Die Arbeitnehmerin trat am 1.9.2021 eine Vollzeitstelle im allgemeinen Verwaltungsdienst einer Stadt an. Das Versorgungsamt hatte ihr befristet bis 31.10.2022 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt. Nachdem sie seit dem 1.12.2021 durchgängig arbeitsunfähig war, beantragte die Stadt mit Schreiben vom 8.2.2022 beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Am gleichen Datum übersandte die Stadt der SBV eine Kopie des Schreibens an den Personalrat mit einem kurzen, ebenfalls auf den 08.2.2022 datierten Anschreiben.
Der Personalrat stimmte der Kündigung in seiner Sitzung am 16.02.2022, an der auch der Schwerbehindertenvertreter teilnahm, nicht zu. Die Stadt kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.02.2022 ordentlich zum 31.03.2022.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. Die Berufung der Stadt vor dem Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.
Das sagt das Gericht
Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.02.2022 zum 31.03.2022 ist unwirksam. Es fehlt an einer Anhörung der SBV.
Das Schreiben der beklagten Stadt vom 8.2.2022 an die SBV wiederholt nur eine Information zum laufenden Beteiligungsverfahren beim Personalrat.
Die Beklagte habe weder im kopierten Schreiben an den Personalrat noch im Begleitbrief die Zustimmung der SBV eingeholt, sondern lediglich auf den entsprechenden Antrag an den Personalrat verwiesen. Der Schwerbehindertenvertreter könne daraus nicht entnehmen, dass er sich zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin zu äußern kann und soll.
Selbst wenn die SBV das Schreiben der Beklagten als Unterrichtung im Rahmen ihrer Aufgaben angesehen haben sollte, ergebe sich daraus noch nicht, dass sie dies als Aufforderung verstanden habe, im Rahmen einer Frist eine Stellungnahme abzugeben – das widerspräche auch dem Wortlaut beider Schreiben.
Hinweise für die Praxis
Der Arbeitgeber muss die SBV in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist sogar unwirksam, wenn diese Beteiligung unterbleibt oder nicht ordnungsgemäß abläuft (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausreichend, der SBV eine bloße Kopie der Betriebsratsanhörung auszuhändigen. Wie das LAG Mecklenburg-Vorpommern anhand der BAG-Rechtsprechung ausführt, gehört zu einer ordnungsgemäßen Anhörung der SBV:
- Der Arbeitgeber muss die SBV ausreichend unterrichten und ihr ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BAG, 13.12.2018 - 2 AZR 378/18).
- Die Unterrichtung muss die SBV in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken, also erfolgen, bevor der Arbeitgeber sich endgültig entschieden oder die Kündigung schon ausgesprochen hat.
- Die Unterrichtung ist inhaltlich nicht auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge beschränkt: Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich die SBV ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben.
- Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dabei darf er Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, der SBV nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.
- Neben dem Kündigungssachverhalt sind der SBV der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers, ggf. die Gleichstellung sowie grds. die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen.
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Quelle
Aktenzeichen 5 Sa 127/22