Sonderkündigungsschutz in Matrix-Organisationen

Der Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder entfällt, wenn der ganze Betrieb stillgelegt wird (§ 15 Abs. 5 KSchG). Daher ist es wichtig zu ermitteln, was genau ein »Betrieb« ist. Schwierig ist dies in Matrix-Organisationen, die sich dadurch auszeichnen, dass Führungsstrukturen konzernweit über Abteilungen hinweg bestehen.
Das war der Fall
Eine in Deutschland beschäftigte Controllerin eines weltweit agierenden Arzneimittelkonzerns ist zugleich Betriebsratsvorsitzende und Vertrauensperson für die schwerbehinderten Menschen. Im Zuge einer im Unternehmen existierenden Matrix-Struktur ist die Controllerin der Finanzabteilung in Indien und dessen Chef unterstellt. Ihr wurde gekündigt. Der Arbeitgeber ist der Meinung, dass mit der Kündigung ihrer Person die gesamte Controlling-Abteilung in Deutschland entfiele und sie sich damit nicht auf den Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder nach § 15 Abs. 1 KSchG berufen könne (§ 15 Abs. 5 KSchG).
Das sagt das Gericht
Das Gericht gibt der Beschäftigten Recht. Ihre Kündigung ist unwirksam. Der Sonderkündigungsschutz greift (§ 15 Abs. 1 KSchG). Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Kündigung gemäß § 15 Abs. 5 KSchG liegen nicht vor. Im Unternehmen existiert eine Matrixorganisation. Die Controllerin repräsentiert zwar im Rahmen der Matrix-Organisation als Einzelperson in Deutschland die Controlling-Abteilung, stellt damit aber keine Betriebsabteilung i.S. des § 15 Abs. 5 KSchG dar. Insbesondere ist sie organisatorisch nicht eigenständig, sondern in die gesamte Organisationsstruktur in Form einer Matrix eingebunden. Da aber damit kein Betrieb stillgelegt wird, kann sie sich auf den Sonderkündigungsschutz berufen.
Das muss der Betriebsrat wissen
Die rechtliche Bewertung von Matrixorganisationen ist sehr komplex. Vor allem ist wichtig, dass eine Matrixstruktur nicht unmittelbar Auswirkungen auf den »Betriebsbegriff« hat bzw. eine Auflösung einer Abteilung innerhalb der Matrix (wie hier die aus einer Einzelperson bestehende Finanzabteilung in Deutschland) nicht zwingend zu einer Auflösung der hergebrachten Betriebsstrukturen führt. In so komplexen Fällen ist dringend Rechtsberatung geboten!
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Quelle
Aktenzeichen 15 Sa 906/22