Kündigung

Unbewiesene Anschuldigungen reichen nicht für einen Rauswurf

16. August 2021 Kündigung
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Im Falle einer Kündigung ist die Arbeitgeberseite darlegungs- und beweispflichtig. Sie muss die Gründe schlüssig vortragen, die eine Kündigung rechtfertigen. Dazu gehört alles, was die darlegende Partei weiß und wissen kann, so das LAG Köln.

Das war der Fall

Die Arbeitgeberin kündigte ihrem Mitarbeiter, Bezirksleiter bei einem Getränkegroßvertrieb, aufgrund strafbarer Handlungen. Anfange Dezember 2019 musste sie feststellen, dass der Kläger im Zeitraum zwischen dem 30.10.2019 und dem 20.11.2019 sechs Kunden im IT-System angelegt habe, denen er einen 95 % Rabatt eingeräumt habe. Das Systemprotokoll weise aus, dass diese Kunden vom Kläger angelegt worden seien. Das habe die Firma nachgewiesen, die für die Systemadministration zuständig sei. Die Beklagte, die im Wege der Widerklage Schadenersatz in Höhe von 566.961,46 EUR nebst Zinsen gefordert hat, wirft dem Mitarbeiter außerdem Manipulationen am Kassensystem vor.

Das sagt das Gericht

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht wegen des Fehlens einer hinreichenden Konkretisierung des Vortrags der Arbeitgeberin stattgegeben und die Widerklage der Arbeitgeberin mit der gleichen Begründung abgewiesen. Das ArbG Köln habe richtig festgestellt, dass die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, und auch die hilfsweise ordentliche Kündigung nicht wirksam war. Der Arbeitgeberin ist es nicht gelungen, einen wichtigen Grund darzulegen. Der Vorwurf, der Mitarbeiter habe im IT-System Fantasiekunden angelegt mit dem Ziel, sich selbst oder Dritte auf Kosten der Arbeitgeberin zu bereichern, kann ohne weiteres einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, also einen hinreichenden Grund ein Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden, so das LAG Köln. Dann reicht es aber nicht aus, dass die Täterschaft lediglich behauptet wird. Denn die Arbeitgeberin hat keine Tatsachen dargelegt, aus denen gefolgert werden könnte, dass es tatsächlich der Kläger und niemand anderes war, der die Eintragungen vorgenommen hat. Die Arbeitgeberin muss die Täterschaft des Klägers beweisen und damit zunächst bei einem hier tatsächlich erfolgten Bestreiten durch den Kläger mit konkretisierendem Vortrag dessen Täterschaft darlegen. Der Kläger hat seine Täterschaft nicht nur pauschal bestritten und auf einen unbekannte Dritten verwiesen, sondern darüber hinaus vorgetragen, wer im Betrieb Zugriff auf das IT-System hat, auf seine Hardware und auf seine Passwörter und Kennungen. Insgesamt ist der Vortrag der Arbeitgebrin zu vage. Es reiche nicht aus, von erheblichen Beträgen zu sprechen, die der Mitarbeiter abgezweigt haben soll, oder Exceltabellen vorzulegen, aus denen sich Berechnungen von Fehlbeträgen ergeben sollen, die aber nicht eindeutig Handlungen des Mitarbeiters zuzurechnen sind.  

Gleiches gilt für eine Verdachtskündigung. Wegen der Gefahr, dass durch eine Verdachtskündigung ein Unschuldiger seine Arbeit verliert, ist es dem Arbeitgeber in besonderem Maße zuzumuten, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und nicht nur den betroffenen Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anzuhören, sondern alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zur Aufklärung des Sachverhaltes auszuschöpfen. Das war hier unterblieben.

Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung greift nicht. Zur verhaltensbedingten Kündigung gelten die Ausführungen der fristlosen Kündigung: es fehlt die Darlegung des Kündigungsgrundes. Auch eine betriebsbedingte Kündigung kommt nicht in Betracht - auch hier wird die Arbeitgebrin den Anforerungen an ihre Darlegungslast nicht gerecht. Sie hätte aufzeigen müssen, inwiefern der Beschäftigungsbedarf des Mitarbeiters weggefallen ist, weil seine Arbeit intern auf andere Schultern verteilt wurde. Insbesondere wenn Kündigung und Umstrukturierung zeitlich zusammenfallen, muss die Organisationsentscheidung, die der Kündigung zugrunde liegt, dargelegt werden, um jede Form von Willkür auszuschließen. Das war hier nicht der Fall. Die betriebsbedingte Kündigung sei kein Auffangtatbestand für Sachverhalte, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung nicht ausreichen, so das LAG Köln. 

Zurecht hat das ArbG die Arbeitgeberin verurteilt, den mit der Dezemberabrechnung einbehaltenen Betrag in Höhe von 943,87 Euro an den Mitarbeiter zu zahlen. Der Anspruch folgt aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611a Abs. 2 BGB in rechnerisch unstreitiger Höhe. Der Anspruch ist nicht im Wege der Aufrechnung durch Erfüllung untergegangen, denn die Beklagte hatte gegen den Kläger keinen Schadensersatzanspruch, mit dem sie hätte aufrechnen können.

Das muss der Betriebsrat wissen

Die Entscheidung des LAG Köln zeigt, wie wichtig die Darlegungs- und Beweislast ist, um Beschäftigte vor bloßen Behauptungen und Anschuldigungen zu schützen. Für den Betriebsrat heißt das, dass er im Rahmen einer Kündigungsentscheidung genau zu prüfen hat, ob die Vorwürfe gegen die Betroffenen substantiiert sind und sich tatsächlich belegen lassen. Nur dann kann eine Kündigung auch vor Gericht Bestand haben.

© bund-verlag.de (mst)

Quelle

LAG Köln (08.06.2021)
Aktenzeichen 6 Sa 723/20
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