Unfallversicherung

Arbeitsunfall durch rechtswidriges Abtasten

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Quelle: © RioPatuca Images / Foto Dollar Club

Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn die Polizei eine Arbeitnehmerin allein aufgrund ihrer Tätigkeit durchsucht und sie dadurch einen seelischen Gesundheitsschaden erleidet. Für die Folgen muss die gesetzliche Unfallversicherung aufkommen – so das Hessische Landessozialgericht. Von Bettina Krämer.

Eine Angestellte der Deutschen Bahn arbeitet am Service-Point eines Bahnhofs. Während ihrer Arbeitszeit erhielt sie von der Bahnsteigaufsicht einen Rucksack. Den Inhalt des Rucksacks dokumentierte sie im Beisein eines Kollegen. Später stellten Polizeibeamte fest, dass nicht mehr alles da war, es fehlten Geld, Schmuck und eine Festplatte. Sie nahmen die Bahnangestellte mit auf das Polizeirevier. Sie musste sich dort komplett entkleiden und einer Leibesvisitation unterziehe. Als Folge dieser ungerechtfertigten Maßnahme erlitt die Frau eine psychische Erkrankung.

Die Unfallversicherung lehnte eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Es habe sich bei der polizeilichen Kontrolle um eine private Verrichtung gehandelt, die den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterbrochen habe. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt hat die Maßnahme als Arbeitsunfall angesehen und der Angestellten Recht gegeben.

Wann liegt ein Arbeitsunfall vor?

Ein Unfall liegt vor, wenn Vorkommnisse am Arbeitsplatz zu Verletzungen von Arbeitnehmern führen. Es muss  hinzukommen, dass es sich bei der Verletzungshandlung nicht um eine  persönliche oder eigenwirtschaftliche Verrichtung handelt, das heißt: Nicht jedes Verhalten ist durch die Berufsgenossenschaft versichert. Privates scheidet aus. 

Als Arbeitsunfall zählt meistens nicht Verletzungen:

  • bei der »Verrichtung« auf der Toilette.
  • beim Trinken am Arbeitspatz.
  • im Zusammenhang mit dem  Mittagessen. 
  • bei privatem Telefonieren am Arbeitsplatz.

Sachschäden sind niemals gesetzlich unfallversichert.

Folgende Arbeitsunfälle hat die Rechtsprechung schon anerkannt:

  • Wegeunfall, das heißt, ein Autounfall auf dem Weg zur Tätigkeitsstätte oder zurück (Vorsicht: Gilt für den direkten Weg, bei Umwegen liegt oft kein Versicherungsschutz vor).
  • Verletzungen auf Dienst- und Geschäftsreisen.
  • Körperschäden beim Betriebssport.
  • Verletzungen bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen.
  • Schäden beim Arbeiten an Telearbeitsplätzen
  • oder beim Befördern oder Reparieren von Arbeitsgeräten.
  • Verletzungen bei Betriebsratsschulungen.

Die Aufzählung ist nicht abschließend. Verfahren im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall sind meist Einzelfallentscheidungen.

Leibesvisitation als Arbeitsunfall

Das LSG hat die Leibesvisitation als Arbeitsunfall anerkannt. Ursache der polizeilichen Untersuchung war die berufliche Tätigkeit, die die Bahnmitarbeiterin nach den dienstlichen Vorschriften verrichtet hat. Es war keine private Verrichtung der Frau, die die  polizeiliche Maßnahme hervorgerufen hatte. 

Die ungerechtfertigten Maßnahmen der Polizei hatten - so die LSG Richter- bei der Frau unmittelbar zu Gefühlen des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und Ohnmacht geführt, so dass die hieraus entstandenen psychischen Probleme als sogennanter Gesundheitserstschaden vorliegen. Die BG musste den Arbeitsunfall anerkennen.

Die Richter betonten aber, dass kein Arbeitsunfall anzuerkennen ist, wenn sich zum Beispiel

 - ein alkoholisierter Arbeitnehmer bei einer Verkehrskontrolle der Blutentnahme entziehen möchte und er dann bei der anschließenden polizeilichen Festnahme Verletzungen  erleidet. 

- ein Versicherter auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle bei einer Fahrkartenkontrolle seinen Ausweis nicht zeigen möchte und es bei der polizeilichen Festnahme zu einer Verletzung kommt.

Praxistipp:

Nach einem Arbeitsunfall  sollten Sie Folgendes beherzigen:

  • Den Unfall aufnehmen lassen, das heißt, dem Vorgesetzten/ Arbeitgeber melden und auf einen Eintrag im Unfallbuch bestehen. Der Betriebsrat sollte alle vorliegenden Beweise zum Unfallgeschehen aufnehmen lassen und eventuelle Zeugen namentlich erfassen oder schriftlich festhalten was diese genau ausgesagt haben. 
  • Der Beschäftigte sollte den Durchgangsarzt aufsuchen und den Bericht gleich mitgeben lassen. Der Durchgangsarzt ist ein von der gesetzlichen Unfallversicherung zugelassener Arzt, der für die Behandlung von Arbeitsunfällen zuständig ist. Der Besuch beim Durchgangsarzt sollte auch geschehen, wenn man im ersten Moment meint es liegt kein Arbeitsunfall vor, denn eventuell könnte das doch der Fall sein.
  • Der Betriebsrat sollte sich eine Kopie der Unfallanzeige besorgen, hierauf kann er bestehen. Das Recht auf eine Kopie hat auch der Arbeitnehmer selbst.
     
    • Tipp: Bei der Schilderung des Unfallhergangs sollten jegliche Unstimmigkeiten sofort schriftlich gegenüber der BG vom Arbeitnehmer/Betriebsrat  angezeigt  werden. Verfahren bei der BG können lange dauern, die Erinnerung verblasst. Andere Darstellungen des Hergangs werden bei Abweichungen von der Unfallanzeige und vom Durchgangsarztbericht nach einiger Zeit nicht mehr akzeptiert.
  • Sollte der Arbeitgeber keine Unfallanzeige fertigen, kann dies der Arbeitnehmer oder der Betriebsrat selbst machen. Viele Berufsgenossenschaften  haben auf ihrer Homepage die Vordrucke dafür oder haben die Möglichkeit, dies schon online zu tun.

Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH

Lesetipp:

www.bund-verlag.de > Betriebsrat > Arbeitsschutz > 6. Was muss der Betriebsrat zum Arbeitsunfall wissen?

Quelle

LSG Hessen (17.10.2017)
Aktenzeichen L 3 U 70/14
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters »AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat« vom 20.12.2017.
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