Unterschiedliche Zuschläge sind inakzeptabel

Nachtarbeit gefährdet die Gesundheit. Sowohl das europäische als auch das nationale Arbeitszeitrecht verlangen Standards für den effektiven Gesundheitsschutz, die nicht per Tarifvertrag aufgeweicht werden dürfen. Schon 1992 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine staatliche Schutzpflicht statuiert, die an Artikel 2 Grundgesetz anknüpft: mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Tenor: Nachtarbeitszuschläge sind kein Ausgleich für Gesundheitsschäden, die Beschäftigten sind aufgrund der extremen Gesundheitsgefährdung besser zu schützen.
Arbeitszeitgesetz und Rechtsprechung
Im § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist die Möglichkeit tarifvertraglicher Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit normiert. Nach der ständigen Rechtsprechung der Senate des Bundesarbeitsgerichts (BAG) haben die Arbeitsgerichte zu überprüfen, ob mit der jeweiligen tarifvertraglichen Regelung ein angemessener Ausgleich für die Nachtarbeit und ihre Belastungen erfolgt.
In der Begründung einer BAG-Entscheidung zu den Tarifverträgen in der Textilindustrie aus dem Jahr 2018 wird hervorgehoben: Die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 5 ArbZG kann nur durch eine tarifvertragliche Regelung ersetzt werden, wenn diese einen angemessenen Ausgleich für die Belastungen und Gefährdungen durch Nachtarbeit schafft.
Gefährdung durch Dauer-Nachtarbeit
In dieser Entscheidung folgte der Senat den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit, wonach eine Beschäftigung in fünf aufeinanderfolgenden Nachtschichten, wie sie in dem Betrieb der Textilindustrie üblich war, auch dann gesundheitsschädlich ist, wenn die Beschäftigten den objektiv unzutreffenden Eindruck haben, dass sich ihr Körper dann der Nachtschicht besser anpasst. Die Absenkung der Zuschläge bei (Dauer-)Nachtschichtarbeit war daher nicht haltbar.
Das BAG hatte am 9.12.2020 in mehreren Verfahren darüber zu entscheiden, ob dies rechtswirksam oder als sachwidrige Ungleichbehandlung zu werten ist. In dem Urteil ging es um die Zuschläge für Nachtarbeit bei mehreren Hamburger Brauereien. Dort war der Unterschied der Zuschlaghöhe beträchtlich. Für Nachtschicht ist ein Zuschlag von 50% zu zahlen, bei Nachtschichtarbeit nur von 25%.
Unterschiedlich hohe Zuschläge inakzeptabel
Das BAG verwarf in Fortsetzung seines Urteils aus dem Jahr 2018 und an ein Gutachten zu den Nachtarbeitszuschlägen diese Differenzierung als rechtlich nicht akzeptabel. Sämtliche Senate des BAG verfolgen die Rechtskontrolle von Tarifverträgen nach dem Maßstab der Gleichbehandlung (des Art. 3, Abs. 1 GG).
Am ehesten akzeptabel sind tarifvertragliche Differenzierungen, wenn sie durch größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien legitimiert sind. Dies war im Falle der Brauereien nicht der Fall. Arbeitswissenschaftlich gibt es keine Legitimation für die unterschiedliche Bewertung und Vergütung der Nachtarbeit.
Weitere Informationen
Den umfassenden Beitrag von Prof. Dr. Wolfhard Kohte »Nachtzuschläge – ein Auslaufmodell?!« mit Rechtsprechungsübersicht finden Sie in »Gute Arbeit« 10/2021 (S. 8 ff.). Außerdem im Titelthema der Ausgabe »Nachtarbeit und Zuschläge« lesen Sie:
- Hannah Tatzky: »Nachtarbeitszuschläge in der Pflege« (S. 12 ff.).
- Prof. Dr. Thomas Langhoff, Rolf Satzer: »Gesundheit und Nachtarbeit« (S. 15 ff.).
- Stefan Soost (IG Metall Küste): »Ausgleich für Nachtarbeit durch Tarifvertrag« (S. 19 ff.).
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