Verpflegungsmehraufwand: Betriebshof des Entsorgers ist keine erste Tätigkeitsstätte für Müllwerker

Die Beteiligten streiten sich über die Richtigkeit des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2016. Der Kläger ist angestellter Müllwerker und entleert als sogenannter Läufer für die C-Betriebe die Mülltonnen der Kunden, indem er auf dem LKW mitfährt.
Sein Arbeitstag gestaltete sich für das streitgegenständliche Jahr typischerweise wie folgt:
5:00 Uhr | Abfahrt von der Wohnung |
5:30 Uhr | Ankunft Betriebshof |
6:15 Uhr | Abfahrt Betriebshof |
14:00 Uhr | Rückkehr Betriebshof |
14:30 Uhr | Abfahrt von Betriebshof zur Wohnung |
15:00 Uhr | Ankunft Wohnung |
Die Zeit zwischen Ankunft am und Abfahrt vom Betriebshof war im Wesentlichen gefüllt mit Parkplatzsuche, Umziehen und Anlegen der Schutzkleidung, Abholen von Tourenbuch, Fahrzeugpapieren und -schlüssel, Kontrolle der Blinker sowie der Beleuchtung des Müllfahrzeugs. In der Zeit zwischen Rückkehr und Abfahrt vom Betriebshof brachte der Kläger in der Regel das Tourenbuch und die Schlüssel zum Betriebsgebäude, besprach bei Bedarf besondere Vorkommnisse, zog sich um und duschte sich. Gelegentlich wurde der Müllwagen gereinigt bzw. betankt oder Reparaturen veranlasst.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 machte der Kläger als Werbungskosten Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit in Höhe von 2.700 EUR (225 Tage x 12 EUR) geltend. Er war der Auffassung, die Voraussetzungen hierfür seien erfüllt, da er mehr als acht Stunden auswärtig tätig sei. Das Finanzamt lehnte dies ab mit der Begründung, zur Bestimmung der Abwesenheitszeit des Klägers für auswärtige Tätigkeiten müsse auf den Betriebshof als »erste Tätigkeitsstätte« des Klägers abgestellt werden und von dieser sei er weniger als acht Stunden (7:45 Stunden) entfernt.
Das sagt das Gericht
Das Gericht hielt den Einkommensteuerbescheid für rechtswidrig. Verpflegungsmehraufwendungen seien nach § 9 Abs. 4a Sätze 1 und 2 EStG zu berücksichtigen, da der Kläger arbeitstäglich mehr als acht Stunden berufliche auswärtige Tätigkeiten erbracht habe. Zur Klärung der Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger arbeitstäglich auswärtige Tätigkeiten erbracht habe, sei maßgeblich die Abfahrt des Klägers von und die Rückkehr des Klägers zu seiner Wohnung (Zeit zwischen 5:00 Uhr und 15:00 Uhr). Auf den Betriebshof könne nicht abgestellt werden (Zeit zwischen 6:15 und 14:00 Uhr). Auch wenn der Kläger arbeitsvertraglich diesem zugeordnet sei, seien die Tätigkeiten, die der Kläger dort zwischen 5:30 Uhr und 6:15 Uhr sowie zwischen 14:00 Uhr und 14:30 Uhr ausgeübt habe zu geringfügig, um von einer »ersten Tätigkeitsstätte« i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG auszugehen.
Praxistipp
Ein Arbeitnehmer kann bei Tätigkeiten außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte arbeitstäglich einen Pauschbetrag für Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten abziehen, wenn er mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist. Es kommt mithin darauf an, ob eine »erste Tätigkeitsstätte« gem. § 9 Abs. 4 EStG vorliegt. Der Begriff dient als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit.
Maßgeblich für die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte ist die arbeitsvertragliche Zuordnung – nicht mehr die qualitative Bedeutung der Tätigkeitsstätte bzw. der dort verrichteten Tätigkeiten. Allerdings muss der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringen, die er arbeitsvertraglich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Tut er dies nicht, liegt keine »erste Tätigkeitsstätte« als Anknüpfungspunkt für steuerliche Regelungen vor. Vorliegend wurden diese Voraussetzungen vom Finanzgericht im Anschluss an den Ausführungen des Bundesfinanzhofs vom 2.9.2021 (BFH 2.9.2021 – VI R 25/19) wegen der Geringfügigkeit der am Betriebshof ausgeübten Tätigkeiten verneint. Maßgeblich für die Frage der Dauer der Abwesenheit des Klägers war mithin die Wohnung.
Albane Lang, Richterin am Arbeitsgericht.
Quelle
Aktenzeichen 16 K 4259/17