Fragen an Thomas Klebe

Warum das BetrVG reformiert werden muss

07. April 2022 BetrVG-Reform, Interview
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Quelle: alibaba / Foto Dollar Club

Vor 50 Jahren trat die letzte Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) in Kraft. Die Arbeitswelt ist heute eine andere. Das Gesetz gehört daher modernisiert. Eine Expertengruppe aus Wissenschaft und DGB-Gewerkschaften hat daher einen Reformvorschlag vorgelegt. Wir haben den Leiter der Gruppe, Dr. Thomas Klebe, zu einigen Details befragt.

Eine Gruppe von Expertinnen und Experten aus den DGB-Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie Jura-Professoren von den Universitäten Göttingen und Bremen hat ein detailliertes Reformkonzept in Form eines Gesetzesvorschlags erarbeitet, das am 6.4.2022 der Presse vorgestellt wurde.

Hier geht es zum Gesetz-Entwurf als PDF-Download.

Eine Online-Synopse des BetrVG-Reformvorschlags mit dem aktuell gültigen Gesetz gibt es auf dem AuR-Blog.

1. Im letzten Jahr trat das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft. Warum reicht Euch diese Reform nicht?

Thomas Klebe: Das war ja nur ein Reförmchen. Antworten auf die zentralen Fragen der Gegenwart und Zukunft fehlen völlig. Stichwörter: Transformation, Digitalisierung und Globalisierung. Wenn Betriebsräte auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber handeln sollen, ist hier gravierender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber gegeben.

2. Wenn Du drei Themen Eures Vorschlags nennen müsstest, die Euch besonders wichtig sind, welche wären das?

Thomas Klebe: Das überfordert mich schon ein bisschen: Na gut, besonders wichtig sind die Beschäftigungssicherung, der Umweltschutz und die Gleichstellungfragen. Aber wenn ich das sage, habe ich schon das Gefühl, ich sollte auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten, die Erleichterung der Betriebsratswahlen und den Ausbau der individuellen Rechte der Beschäftigten nennen.

3. Für viele neu gewählte Betriebsratsmitglieder ist deren Vergütung wichtig. Was wollt Ihr da ändern?

Thomas Klebe: Hier wollen wir, dass Betriebsratsmitglieder wie alle Beschäftigten eingruppiert werden. Bei der Bemessung sollen auch die in der Betriebsratsarbeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen, sowie die auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben, also auch die Verantwortung, berücksichtigt werden. Ehrenamtsprinzip heißt dann: Keine Vor- und keine Nachteile wegen des Amtes. Die Vergütung ist ja in der Regel nicht die Hauptmotivation, aber eine faire Behandlung ist m.E. zwingend. Das Amt darf keine Sackgasse werden.

4. Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften ist seit langem Thema der Politik. Was sind Eure Vorschläge?

Thomas Klebe: Hier haben wir den regelmäßigen Zugang zu den im Betrieb genutzten elektronischen Kommunikationsmedien vorgesehen. Wir leben in 2022. Schwarze Bretter können da nicht mehr die Antwort sein. Diese Nutzungsrechte sollen auch betriebliche Gewerkschaftsmitglieder für Mitgliedergewinnung und Information haben.

5. Ihr wollt die Schwellenwerte für die Freistellungen ändern. Wie genau und warum?

Thomas Klebe: Ja, das betrifft zwei Bereiche. Die erste Freistellung soll schon bei in der Regel 100 Beschäftigten beginnen. Bei weniger Beschäftigten soll der Anspruch auf eine feste Teilfreistellung im erforderlichen Umfang bestehen. Wir wollen damit das leidige Problem angehen, dass in diesen Betrieben der Arbeitgeber oft für keinen Personalausgleich sorgt und das Betriebsratsmitglied sich für seine Tätigkeit dann quasi immer entschuldigen muss.

6. Die Einschaltung von Sachverständigen soll für den Betriebsrat erleichtert werden. Was genau ist geplant?

Thomas Klebe: Die Anforderungen an die Betriebsratsarbeit sind heute immens. Häufig sind Sachverständige unverzichtbar. Bisher ist eine vorherige Einigung des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber erforderlich. Das halten wir für überflüssig und in manchen Fällen für ein Mittel »sanfter« Behinderung, wenn der Arbeitgeber auf Zeit spielt und die Zustimmung erst mal verweigert. Auch die Einschaltung von sachkundigen Beschäftigten wollen wir für den Betriebsrat erleichtern

7. Ihr wollt die Mitbestimmung insgesamt ausbauen. Überall, wo es Mitbestimmung gibt, soll auch ein Initiativrecht der Betriebsräte bestehen (§ 74a BetrVG). Worauf zielt das ab?

Thomas Klebe: Damit wollen wir einerseits die Rechtsprechung des BAG korrigieren, die z.B. bei technischen Kontrolleinrichtungen den Betriebsrat nur reagieren lässt, obwohl, wie bei der Zeiterfassung, der Betriebsrat durchaus ein Interesse an Regelungen haben kann. Darüber hinaus soll das Initiativrecht auch Verfahrens- und Kontrollfragen, z.B. für Betriebsvereinbarungen, umfassen und Rahmenvereinbarungen, die die Ausübung der Mitbestimmungsrechte beispielsweise beim Einsatz von künstlicher Intelligenz deutlich erleichtern können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber jede Maßnahme zu unterlassen hat, die, auch nur mittelbar, ein Recht des Betriebsrats beeinträchtigen kann. Nicht nur Verstöße, auch ihre Folgen sind entgegen der verfehlten BAG-Rechtsprechung zu beseitigen.

8. Bei der zentralen Vorschrift des § 87 Abs. 1 BetrVG wollt Ihr, dass Betriebsräte auch in Angelegenheiten mitbestimmen sollen, die »Fragen des Verhaltens der Beschäftigten« betreffen (neue Nr. 1a). Woraus zielt das ab?

Thomas Klebe: Auch hier soll die Rechtsprechung des BAG korrigiert werden. Regelungen des Arbeitgebers für das Verhalten der Beschäftigten sollen nur dann nicht mitbestimmt sein, wenn sie ausschließlich und unmittelbar die Erbringung der Arbeitsleistung betreffen. Bei solchen Arbeitsanweisungen ist dann nur der Arbeitgeber gefragt.

9. In einer neuen Nr. 6a des § 87 Abs. 1 BetrVG wollt Ihr »Maßnahmen zum Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte Einzelner« der Mitbestimmung unterwerfen. Woran habt Ihr da gedacht? Und dann gibt es noch eine Nr. 6b, nach der »Maßnahmen des betrieblichen Datenschutzes« mitbestimmungspflichtig sein sollen. Warum ist das von Bedeutung?

Thomas Klebe: Beide Regelungen dienen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zeiten der Digitalisierung. Gerade auch vor dem Hintergrund mobiler Arbeit sind zum Teil ziemliche Auswüchse zu beobachten. Vollständige Persönlichkeitsprofile von Beschäftigten oder die Erfassung der sozialen Beziehungen im Betrieb müssen verhindert werden.

10. Ein Kern des Reformvorschlags scheint die Mitbestimmung bei der Personalplanung zu sein. Was ist da der Kerngedanke?

Thomas Klebe: Das stimmt. Gerade die Personalplanung ist ein entscheidendes Instrument zur Beschäftigungssicherung und auch zur Vermeidung von Arbeitsverdichtung. Karl Fitting, einer der wichtigsten Autoren des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972, hat dies schon vor über 30 Jahren angeregt. Unser Vorschlag sieht ein Mitbestimmungsrecht bei der Planung und Bemessung in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten vor.

11. Was soll sich bei der Beteiligung bei Kündigungen ändern?

Thomas Klebe: Hier wollen wir die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung für Gekündigte deutlich erleichtern, solange noch nicht gerichtlich über die Kündigung entschieden ist. Bekanntlich ist ja der Kündigungsschutz seinen Namen nicht wert, wenn Gekündigte den Betrieb erst mal verlassen müssen.

12. Ihr wollt die Stellung des Betriebsrats bei der Beschäftigungssicherung verbessern. Wie genau und warum haltet Ihr das für eminent wichtig?

Thomas Klebe: Das ist gerade vor dem Hintergrund der Transformation und der Digitalisierung ein ganz entscheidender Punkt. Unternehmen haben oft keine Zukunfts- und Weiterbildungsstrategie. Hier müssen dann Betriebsräte und Gewerkschaften zu »Treibern« werden. Deshalb soll das Beratungsrecht des Betriebsrats bei der Beschäftigungssicherung außer bei inhabergeführten kleineren Unternehmen zu einem Mitbestimmungsrecht weiterentwickelt werden. Zudem wollen wir ein generelles Initiativrecht bei der Weiterbildung, eine Erzwingbarkeit des Interessenausgleichs bei Betriebsänderungen und, wie schon angesprochen, eine Mitbestimmung bei der Personalplanung.

13. Ihr wollt für die Beschäftigten eine »Demokratiezeit« einführen? Was ist damit gemeint?

Thomas Klebe: Das ist auch ein sehr wichtiger Punkt. Wir wollen die individuellen Rechte der Beschäftigten generell stärken. Wir wollen den mündigen und selbstbewussten Bürger auch im Betrieb. Deshalb sollen die Beschäftigten einen Anspruch erhalten, zur Erörterung ihrer betrieblichen Belange, mindestens eine Stunde wöchentlich, von der Arbeit freigestellt zu werden. Das kann man auch als »Demokratiezeit« bezeichnen, weil Forschung zeigt, dass Menschen, die im Betrieb Mitsprache in den sie betreffenden Fragen haben, auch zur gesellschaftlichen Demokratie ein positives Verhältnis haben, sie wertschätzen und für sie eintreten.

14. Es ist ja unverändert ein großes Problem, dass viele Betriebe keinen Betriebsrat haben, obwohl das Betriebsverfassungsgesetz das in § 1 unterstellt. Habt Ihr dafür Lösungen?

Thomas Klebe: Ob das Lösungen werden, kann nur die Realität beantworten. Jedenfalls wollen wir ein ganzes Bündel von Regelungen, um diesen unhaltbaren Zustand zu ändern. Der Schutz von Wahlinitiatoren muss ausgeweitet werden. Sie müssen weitergehend als im Betriebsrätemodernisierungsgesetz auch vor außerordentlichen Kündigungen geschützt werden. Denn welcher Arbeitgeber, der eine Wahl verhindern will, wird eine fristgerechte Kündigung aussprechen? Keiner! Alle Kündigungen von Initiatoren und den zu Wahlversammlungen Einladenden sollen nur zulässig sein, wenn sie zuvor vom Arbeitsgericht für rechtmäßig befunden werden. In betriebsratslosen Betrieben müssen einmal im Jahr Versammlungen zur Information über die Wahlmöglichkeit stattfinden. Die Bestellung des Wahlvorstandes durch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft soll deutlich erleichtert werden. Letztlich kommt es aber auch dann natürlich auf die Beschäftigten selbst an.

15. Die Globalisierung, die Internationalisierung der Unternehmen schreitet in großen Schritten voran, auch wenn bei Krisen immer wieder die Frage diskutiert wird, wie stabil Lieferketten sind. Was wird dann aus der nationalen Mitbestimmung? Habt Ihr auch dafür Ideen?

Thomas Klebe: Wir haben alle diese Megathemen diskutiert. Bei der Globalisierung sind Lösungen natürlich besonders schwierig, weil das Betriebsverfassungsgesetz ein nationales Gesetz ist. Hier sind die Möglichkeiten beschränkt. Wir haben aber z.B. vorgesehen, dass durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag die internationale Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertreter*innen weltweit geregelt werden kann, also über den Bereich von Europäischen Betriebsräten hinaus, und die alltägliche Vernetzung erleichtert. Wir wollen auch klarstellen, dass Konzernbeschäftigte im Ausland Mitglied im Wirtschaftsausschuss werden können. Ansonsten ist hier als ein wichtiger Schritt die Weiterentwicklung der europäischen Vorschriften gefragt

Vielen Dank!

© bund-verlag.de

Im Gespräch mit

Thomas Klebe

Dr. Thomas Klebe

Rechtsanwalt in der Kanzlei Apitzsch/Schmidt/Klebe, Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht (HSI) in Frankfurt am Main, ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht
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