Gesundheitsdaten

Wearable und App: Was kommt auf uns zu?

11. Januar 2021 Wearable, App
Wearable, App
Quelle: pixabay

In Betrieben wächst das Angebot, digital gestützte Verhaltensprävention mit Wearables und Apps umzusetzen. Das berührt oder verletzt Persönlichkeits- und Datenschutzrechte im Arbeitsverhältnis. Der Gesetzgeber befördert dies mit der »Digitalen-Gesundheitsanwendungen-Verordnung«. Professorin Gudrun Faller erklärt in »Gute Arbeit« 12/2020, was da auf uns zukommt.

Digitale Angebote zur gesundheitlichen Verhaltenssteuerung im Arbeitsverhältnis sind keine Randerscheinung mehr. Beschäftigte, die Wearables oder Apps des Arbeitgebers nutzen, liefern ihm ihre Bio-, Vital- oder Gesundheitsdaten frei Haus. Im Gegenzug erhalten sie Online-Hilfen zur Verhaltensprävention – bis hin zum Umgang mit depressiven Gemütslagen oder zur Gewichtsreduktion.

Anreize für die Nutzung von Wearables & Co

Der Hebel zur Verbreitung: Es gibt Anreize - etwa mit Gamification oder sogar Bonussystemen, individuell oder für Teams. Wer nicht mitmacht, steht im Abseits. Der Gesetzgeber will dies sogar rechtlich absichern: im Rahmen des SGB V, Gesundheitsförderung nach § 20. Eine »Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung« (DiGAV, BMG 2020). Die geplante Verordnung definiert Anforderungen, die eine App für die Aufnahme in das Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen qualifizieren und die unter die Möglichkeit einer ärztlichen Verordnung nach dem »Digitale-Versorgung-Gesetz« fallen.

Falscher Fokus auf Verhaltensprävention

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) stellt eindeutig auf die Arbeitsbedingungen und die Gestaltung der Verhältnisse am Arbeitsplatz ab. Die Erhebung der Gefährdungen sowie Abhilfe- und Schutzmaßnahmen sind der Schlüssel zur Verhältnisprävention.

Mit der Gesundheitsförderung, die nicht per se schlecht sein muss, kommen nun durch die Hintertür Wearables und Apps ins Geschehen, die den Markt mit neuen Geschäftsmodellen überfluten.

Erste Arbeitgeber nehmen dies zum Anlass, sich aus der Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu stehlen und den Beschäftigten ein Gerät umzuhängen oder ein Programm zu verordnen. Die vorgebliche Freiwilligkeit der Teilnahme wird durch Anreizsysteme und den sozialen Gruppenzwang konterkariert. Machen viele mit, stehen Verweigerer im Abseits.

Was die Systeme können

Professor Gudrun Faller stellt in ihrem Beitrag in »Gute Arbeit« vor, worum es geht. Die Wearables und Apps können z.B. physiologische Indikatoren, Bewegungsabläufe oder Parameter der Körperhaltung erfassen und abbilden. Nutzer*innen erhalten Rückmeldungen über individuelle Werte. Um die Interpretation der Messergebnisse zu verbessern, werden sie teils zu Indices kombiniert und/oder Ampelfarben zugeordnet: Ergebnisse sind dann z.B. gut, mittelmäßig oder schlecht.

Einige Anwendungen fordern Nutzer*innen dazu auf, emotionale Befindlichkeiten, verhaltens- und lebensstilbezogene Informationen in eine Art »Tagebuch« einzugeben. Die Kombination aller Werte erlaubt das Anlegen individueller Profile zum Bewegungsverhalten, zur Ernährung, Schlafqualität, Stressbelastung, Depressivität, aber auch zur Arbeitszufriedenheit.

Was kommt auf uns zu?

Mit der Nutzung der Systeme geben Beschäftigte wesentliche Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte aus der Hand. Ihnen können bestimmte Risiken zugeordnet werden, was zu Konsequenzen im Arbeitsverhältnis führen kann, etwa bei der nächsten (längeren) Erkrankung.

Die Kombination mit individualisierten Verhaltensempfehlungen und Trainings ist ein Eingriff in die Privatsphäre: Bei Wohlverhalten und Teilnahme werden z.B. Punkte, virtuelle oder reale Belohnungen vergeben. Zuweilen gibt es Motivationsnachrichten oder Erinnerungen per E-Mail oder Nachrichtendienst. Standardisierte Onlinekurse und Übungen ziel nur auf die Verhaltensprävention ab.

Soziale Ungleichheit wird gepuscht

Die durch den »Wettbewerb« forcierten Normen steigern den Leistungsstress im Arbeitsleben zusätzlich. Jeder soll oder will zu den Aktiven und Erfolgreichen gehören. Für Teams, die z.B. über Fahrradkilometer und Laufstrecken gegeneinander antreten, stellt sich die Frage: Wie sehen die Konsequenzen für Teammitglieder aus, die – warum auch immer – die kollektiven Leistungsergebnisse senken.

Das Interesse von Arbeitgebern, Krankenkassen und weiteren Kreisen an digitalen Gesundheitsdaten birgt die Gefahr der Entsolidarisierung. Krankenversicherte, die ihre Vitalwerte nicht messen und Gesundheitstipps ignorieren, könnten zu höheren Beiträgen herangezogen werden, Beschäftigte ihre Stelle verlieren. Die Anwendungen befördern unrealistische Werte, die Disziplin, Fitness und Leistungsfähigkeit definieren. Verantwortung für die »Fitness« trägt der Einzelne. Wer behindert, chronisch krank oder übergewichtig ist, fällt in der Wunder-Körperwelt durch alle Raster. Die Norm ist, was anderen gefällt.

Weitere Informationen

Der umfassende Beitrag von Prof. Dr. Gudrun Faller in der Ausgabe »Gute Arbeit« 12/2020 (S. 25-30): »Wearable und App: Was kommt auf uns zu?«.

Außerdem im Heft - das Titelthema: »Berufliche Weiterbildung – Zeit, Geld und neue Perspektiven«:

  • Svenja Pfahl und Stefan Reuyss: »Sabbaticals: Erfahrungen nutzen« (S. 13-16).
  • Sabrina Klaus Schelletter (DGB): »Neue Chancen: Das Arbeit-von-morgen-Gesetz« (S. 8-12).
  • Petra Ahlburg: »Bildungsurlaub: Ihr gutes Recht« (S. 17-21).

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